Rezension von Fieser Meister (2011):
Inhalt des Mantels
Der „irdische“ Botenteil beginnt mit einer Spielhilfe zum „neuen Almada“ von Michael Masberg. Dieser längere Text (4 S.) hat mir schon deshalb gut gefallen, weil hier ganz klar nachgezeichnet wird, wo sich durch das Abenteuer „Der Mondenkaiser“ im Verhältnis zur RSH „Herz des Reiches“ etwas geändert hat. Der Satz „Von den hier vorgestellten Änderungen abgesehen, behält die Regionalspielhilfe weiterhin ihre Gültigkeit“ ist Gold wert aus Sicht eines jeden Meisters, der sich im Dickicht von Veränderungen der Spielwelt und offiziellen Beschreibungen zurechtfinden will. Eine Chronologie „in beide Richtungen“ bietet einen guten Überblick, außerdem werden wichtige Personen – samt Werten – vorgestellt, die in der RSH noch zu kurz kamen. Ich finde die gesamte Spielumgebung zwar immer noch nicht besonders glaubwürdig und missbillige den diesbezüglichen Metaplot der letzten Jahre, aber das spielt hier ja keine Rolle. Formal wird uns hier eine gute und vor allem gut nutzbare Spielhilfe geboten.
Die nächsten fünf Seiten füllt eine Spielhilfe zu den Dunklen Zeiten. Diese sollen offenbar kontinuierlich mit Material im Boten unterstützt werden, was mich freut. Die Spielhilfe bietet fünf Archetypen für das Spiel: eine Zensorin (eine Art gelehrte Beamtin), einen Grolm, einen Prätorianer (Elitekrieger), eine Rechtswahrerin (geweihte Kämpferin) und einen Magier. Alle Archetypen sind im Bild dargestellt und mit Werten versehen, sodass man mit ihnen sofort losspielen kann, wenn man die entsprechende Box hat (und sonst auch). Ein gutes Modul, das die Box hervorragend unterstützt. Da stört mich auch nicht, dass die Archetypen etwas klischeehaft geraten sind; vielleicht erleichtert das ein schnelles Verfügbar-Sein für das Spiel ja sogar. Zwei kleinere Kritikpunkte: die Werte hätten kleiner gedruckt werden können, da man sie ja nur im Falle der tatsächlichen Verwendung zum Übertragen in die eigenen Dokumente braucht. Das hätte viel Platz im Heft gespart, meiner Meinung nach mindestens eine ganze Seite. Zweitens gefällt mir die Uneinheitlichkeit der Illustrationen nicht, jede stammt von einem anderen Zeichner. So löblich es auch ist, neuen Talenten eine Chance zu geben (zur Einreichung eigener Zeichnungen ruft der Bote auch ausdrücklich auf) – muss das ausgerechnet durch Veröffentlichung direkt hintereinander geschehen? Da hätte man vielleicht besser durch mehr Abstand die Stilunterschiede kaschiert, wobei eine der fünf Zeichnungen es wegen mangelnder Güte gar nicht in das Heft hätte schaffen dürfen. Dennoch – unter dem Strich eine überdurchschnittliche Spielhilfe.
Im Heft folgt eine Ortsbeschreibung des „Gebrochenen Rades“, des Haupttempels des Boronkults nach Puniner Ritus. Eine Angabe zum Autor fehlt leider (wieder etwas, was ein hypothetischer Lektor sehen müsste!). Der unbekannte Autor führt seine Leser gewissermaßen an der Hand auf einem Rundgang durch den ganzen Tempel; zur Erleichterung der Orientierung kann man seinen Weg anhand einer hübschen Karte nachvollziehen. Die Tempelarchitektur ist ideenreich und manchmal überraschend, aber dennoch absolut nachvollziehbar und „realistisch“ geschildert. Beschreibungen der wichtigsten Personen und Abenteueraufhänger, die sich auch noch gut mit der Almada-Spielhilfe im gleichen Heft kombinieren lassen, runden das Ganze ab. Hierfür: Note 1!
Leider kann ich dieses Prädikat für das folgende Kurzabenteuer „Golgaris Feder“ nicht vergeben. Dieses Abenteuer, das fünf Seiten füllt, hat zwar auch mit der Boron-Kirche zu tun und lässt sich wiederum einfach mit der Tempelbeschreibung und dem Almada-Artikel kombinieren, aber das war es dann mit dem Spielwert. Das Abenteuer ist so konfus, dass ich auch beim zweiten Mal lesen noch Mühe hatte, der Handlung zu folgen. Es geht um ein Artefakt. Wo dieses herkommt und was magische Analysen darüber herausfinden können, wird ausführlich erklärt. Leider wird überhaupt nicht erklärt, warum es wirkt, wie es wirkt. Da die Helden dem Artefakt aber über diese Wirkung auf die Spur kommen (ich will hier nicht zu viel verraten), ist das äußerst unbefriedigend. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass die Autoren am Ende des Szenarios vergessen hatten, was am Anfang steht. Dafür wird ausführlich die völlig abenteuerunerhebliche Familiengeschichte des Auftraggebers referiert. Am Schluss gelangen die Helden schließlich in eine Situation, in der sie sich auf jeden Fall Feinde machen, egal, wie sie sich verhalten. Ach ja, eine Globule kommt auch noch vor und das Artefakt wurde natürlich von Pardona höchstpersönlich erschaffen (wozu?); kleiner ging es wohl nicht.
Kurz gesagt: Das Abenteuer ist – nicht gut.
Unter der Überschrift „Ehre, wem Ehre gebührt“ beginnt auf den folgenden zwei Seiten eine bereits nach dem Aus für die geplante Meisterpersonen-Spielhilfe angekündigte Serie, die die Inhalte dieser Spielhilfe teilweise veröffentlicht. Den Anfang macht Dracodan von Misaquell, für mich einer der schlimmsten „Mary-Sue“-NSCs in Aventurien. Dem Autor Franz Janson ist aber zuzugestehen, dass er für die bereits in mehreren Publikationen auftauchende Figur nachträglich das bestmögliche, d. h. spielfreundlichste Bild entwirft und Dracodan von Misaquell damit (z. B. für die Drachenchronik) besser einsetzbar gemacht hat. Ob es der Angabe so ausführlicher Werte bedurft hätte, weiß ich nicht – auch hier ist mein Vorschlag, diese in Zukunft kleiner zu drucken als den Rest, da die wenigsten Spielleiter die Werte wirklich benötigen werden. Positiv sticht aus der Spielhilfe ein abschließender Kasten hervor, der erklärt, was „Drachlinge“ sind und interessante Rückschlüsse auf die Fähigkeiten des Horas in Vinsalt zulässt.
Unter der Überschrift „Exodus aus Warunk“ folgt ein aus aventurischer Sicht geschriebener Artikel, der wohl besser im Innenteil aufgehoben gewesen wäre; auch Meisterinformationen fehlen hier völlig. Über dem Artikel steht „Chromatrix“, aber nur dem Vorwort zum Boten ist zu entnehmen, dass es sich hier um einen Stimmungstext handelt, der das für 2012 angekündigte DSA-Computerspiel „Demonicon“ vorbereitet. Ich kann mit diesem Text ohne Hintergrundinformationen recht wenig anfangen, aber lassen wir uns von künftigen Texten vor diesem Hintergrund überraschen. Vielleicht erschließt sich ja irgendwann ein Zusammenhang. Zumindest ist der Text nicht schlecht geschrieben.
Nun gewährt uns Ulisses auf drei Seiten einen Einblick in die diesjährige Ratcon. Drei Seiten, fragt der geneigte Leser sich nun? Schmal bebildert mit wenig Text? Da müssen ja tolle Sachen drinstehen! Aber die Hoffnung wird enttäuscht. Zuerst einmal werden auf mehr als einer Seite die Verhaltensregeln vor Ort referiert. Ja, inklusive „Schuhe aus in der Turnhalle!“ und „Vorsicht, Diebe!“ Das ist nur interessant für jemanden, der bereits in Dortmund ist. Es folgt eine Auflistung ausgewählter Veranstaltungen, jeweils mit einem erklärenden Text zum Inhalt. Auf diese Art und Weise passen nur drei von zehn reinen DSA-Veranstaltungen in die Ankündigung. Natürlich werden die Veranstaltungen auch im Netz angekündigt (bzw. sind es bereits), dort finden sich auch die Verhaltensregeln wortgleich abgedruckt. Wer also zur Ratcon gehen will, wird sich sowieso die Informationen von der Seite http://www.ratcon.de holen (was tatsächlich nur eine Weiterleitung zur Ulisses-Seite ist), wozu also die Platzverschwendung im Boten? Eine Seite samt Verweis auf die Internetseite hätte meiner Meinung nach vollkommen genügt. So haben wir hier effektiv drei Seiten Werbung, dazu noch mit einem dicken Absatz zum Thema „BattleTech“. Also genau, was Leser des Aventurischen Boten interessiert!
Eine weitere Seite sowie eine halbseitige Zeichnung sind dem zweiten Teil der Wolkenseglerbeschreibung für Myranor gewidmet. Der Text ist in Ordnung – ich mag die myranischen Texte von Raddatz/Kamaris, aber auch hier wurde wieder geschlampt: fehlende Autorenangabe, vertauschte und fehlende Hinweisziffern auf der Karte sowie der fehlende Verweis auf den ersten Teil (woher soll ich mich in ein paar Jahren noch daran erinnern, in welchem Heft das war?) stören das Bild. Zudem ist mir jetzt erst richtig bewusst geworden, wie störend die Aufteilung einer solchen Spielhilfe auf zwei Boten ist. Das sollte in Zukunft, zumindest bei kurzen Spielhilfen, unbedingt vermieden werden.
Die Seiten 28 und 29 bringen ... noch mehr Werbung. Ulisses stellt uns die DSA-Romanreihe (im Boten #148! Als ob es Botenleser gäbe, die diese noch nicht kennen!) vor, dazu den Roman „Salsweiler“ und – Achtung, haltet euch fest: einen BattleTech-Roman inklusive der dazugehörigen Romanreihe. Fast eine Seite ist dem Universum der stampfenden Riesenkampfroboter gewidmet. Wie spannend. Ich blättere kopfschüttelnd weiter.
Der Bote schließt mit dem Meisterinformationen zum inneraventurischen Teil. Die MIs sind in Ordnung, den Teil über El Harkir fand ich sogar herausragend; mit etwas mehr als einer halben Seite Text hat man hier schon genug Material für ein Szenario zusammen.
Aventurischer Teil
Der Einhefter ist mit seinen aventurischen Texten einerseits auf die Texte des Mantels und andererseits auf demnächst erscheinende Abenteuer ausgerichtet. Letzteres erfährt der Leser aber nur bei genauer Lektüre des Vorwortes, denn da weist DSA-Redakteur Daniel Richter auf die (bislang nicht einmal konkret angekündigten) Abenteuer „Bahamuths Ruf“ (laut FeenCon-Ankündigung eine Art „Mit wehenden Bannern“ für die Blutige See) und „Im Schatten des Elfenbeinturms“ (Abenteuer anlässlich einer Basilius-Prüfung) hin. Ob der Redakteur sich hier „verplappert“ hat oder nicht, es wäre schön, wenn auf solche Querverweise allgemein in den Meisterinformationen kurz hingewiesen würde. Die Texte sind durchweg gut gelungen und ein Autor hat es sogar geschafft, auf frühere Artikel zum gleichen Thema zu verweisen. Es geschehen noch Zeichen und Wunder… Etwas deplatziert unter einer anderen Überschrift steht ein Stimmungstext über die Gefahren der Seefahrt.
Gesamteindruck und Fazit
Es fällt mir diesmal schwer, eine objektive Bewertung abzugeben. Auf der einen Seite sind die Autoren der einzelnen Artikel nicht für eine fahrlässige und schlampige Redaktion verantwortlich, die es so früher nicht gegeben hat. Auf der anderen Seite ist eine Publikation wie der AB mehr als nur die Summe ihrer Teile und ich will das Gesamterscheinungsbild bewerten. Hier sieht es anhaltend eher dunkel aus – nicht finster, aber schattig. Es scheint, als belaste die Umstrukturierung im Hause Ulisses die Qualität des Boten. Mir ist nun schon zum dritten Mal in Folge aufgefallen, dass die Mängel der einzelnen Ausgaben ganz überwiegend nicht bei den Texten selber (also zum Beispiel in deren Konzeption oder aventurischer Stimmigkeit) liegen, sondern in der Umsetzung, Zusammenstellung und Koordinierung der einzelnen Ausgaben. (Noch ein kleines Beispiel aus dem Boten #148: in der Vorstellung der Romanreihe wird der Name eines Autors nicht mit „Dietmar Preuß“, sondern mit „Dietmar August“ angegeben. Klar, das Buch ist für August angekündigt, so ein Flüchtigkeitsfehler kann schnell mal passieren. Aber so etwas sollte zumindest dann auffallen, wenn Texte nicht einfach ungeprüft in den Satz gehen, sondern mit Ruhe vor der Veröffentlichung noch einmal durchgesehen werden; zumal, da hier der Buchtitel samt Autorenname direkt neben der fehlerhaften Zeile steht.)
Wo zum Beispiel ist der zweite Teil der Spielhilfe „Recht und Gesetz in Aventurien“ geblieben, der bereits für den Boten #147 angekündigt war? Ich erwarte doch als Leser, dass in einem Vorwort oder an anderer Stelle auf solche Dinge eingegangen wird.
Von daher vergebe ich für diesen Boten nur sechs von zehn Punkten mit der Tendenz zu sechseinhalb und weise darauf hin, dass es bei einer anderen Herangehensweise von Seiten der Botenredaktion durchaus acht hätten sein könnten, denn die Texte sind ganz überwiegend gut bis sehr gut. Trotzdem gebe ich eine Kaufempfehlung für alle diejenigen Spieler/Meister, die entweder metaplotabhängig im gegenwärtigen Almada spielen wollen oder einen schnellen Einstieg in die „Dunklen Zeiten“ suchen. Erstere werden um diesen Boten gar nicht herumkommen und für letztere ist die Archetypenzusammenstellung einfach eine praktische Sache, die die Anschaffung lohnt.