Rezension von Zorro (2020):
Bespielt mit 4 Helden (Al'Anfanischer Schwarzmagier, Streuner, zwergischer Koch, zwergischer Türsteher)
Spielzeit: 5-8 Spielabende mit je 5-7 Stunden
Kurzzusammenfassung:
"Die Gefangenen von Santobal" bietet einer Heldengruppe die Möglichkeit, den Story-Archetyps des Prisonbreaks in Aventurien nachzuspielen. Dabei umgeht das Abenteuer das Problem der Heldenentwaffnung und -entmündigung, indem es die Spielgruppe nicht mit Gewalt in das Gefängnis zwingt, sondern versucht, einen Rahmen zu arrangieren, in welchem die Helden freiwillig in die Mine wollen.
Setting:
Die Gefängnismiene Santobal liegt auf der Südmeerinsel Sukkuvelani und gehört damit zum Al'Anfanischen Imperium. Der Hintergrund ist jedoch recht lose in das Abenteuer eingepflegt und könnte, wenn gewollt, in verschiedene aventurische Regionen übertragen werden - freilich stets mit Änderungen bestimmter Details.
Das Abenteuer besteht generell aus 5 Abschnitten:
- Anwerbung und Motivation
- Vorbereitung und Verurteilung
- Ankunft auf Sukkuvelani und Reise zur Mine
- Aufenthalt und letztlich Flucht aus der Mine
- Flucht durch Dschungel und von der Insel
Die Stärke (und auch der Fokus) liegt dabei ganz klar, auf dem vierten Teil - dem eigentlichen Gefängnis. Der zweite Teil (Verstecken von Ausrüstung und Diebstahl eines Siegels) kann je nach Gruppeninteresse an einem Heist-Szenario vom Meister ausgebaut werden, während der dritte vor allem als zweckdienlich zu bezeichnen ist, um die Helden von A nach B zu bekommen und nötige Exposition durchzuführen. Problematischer sind die Abschnitte 1 und 5. Die Anwerbungs- und Motivationsarten, die das Abenteuer vorschlägt, sind (für meine Spielgruppe) zu schwach: Santobal wird als Niederhölle auf Dere, als sicheres Grab beschrieben. Für etwas Gold oder die Rettung einer unbekannten Person, risikieren nur die edelmütigsten (oder tollkühnsten Helden) ihren Kopf. Es erschien demnach ratsam, die zu rettende Figur, durch einen vertrauten NPC zu ersetzen - und selbst da wurde noch reichlich das Risko abgewogen. Das zweite Problem ist das Ende des Abenteuers. Sukkuvelani ist eine kleine Insel im großen Meer, mit nur einem Hafen, umkreist von einer Schiffsblockade und bewohnt von "menschenfressenden Wilden" (ja, tatsächlich) im Dschungel zwischen Mine und Hafenstadt. Hierzu werden dem Meister rund 2 Seiten an die Hand gegeben und er ist gewzungen, großflächig selbst Festlegungen vorzunehmen.
Wesentlich detaillierter ist die Mine selbst ausgearbeitet, mit ihren Tagesabläufen, ihren NPCs, ihren Aufgaben, Strafkatalogen etc. Auch gibt es eine Übersicht über zwangsläufige und optionale Ereignisse. Trotzdem bleibt der Komplexitätsgrad für den Spielleiter sehr hoch, was vor allem der Unzahl an NPCs (35-45 mit Namen, Eigenschaften und Gruppendynamiken)und der Vielfalt der Aktionsmöglichkeiten der Helden geschuldet ist. Auch fehlt eine Regelmechanik zum Abbilden des Aufstandes - wie viele unbewaffnete Gefangene wiegen einen durch Gift geschwächten Wächter auf etc.
Auch scheine ich nie die Information auf den 64 Seiten zu finden, die ich gerade suche. Ob das gegen mich oder das Design des Abenteuers spricht, sei einmal dahingestellt.
Die Spieler haben das Abenteuer nach Abschluss sehr positiv mit Noten zwischen 1- und 2 bewertet. Sie führen folgenden Punkte an:
+ Die (regeltechnische) Darstellung der Minenarbeit transportiert authentisch das Leiden und lässt eine spätere Beförderung aus der unteren Ebene der Miene zu einem echten Erfolg werden lassen
+ Hoher Freiheitsgrad der Spieler in ihren Aktionen; ständig ergeben sich neue Erkenntnisse, neue Möglichkeiten und Situationen, die man spontan für etwas nutzen könnte
+ Die Gruppendynamiken der Gefangenen und ihre regeltechnische Repräsentation durch das Rufsystem
+ Die Vielzahl und Vielfalt der NPCs sowie ihre Darstellung im Text (z.B. Charakterisierung durch Spitznamen), ihre stimmigen Illustrationen und die Möglichkeit, sie nach und nach kennen zu lernen. Besonders seien hier der trottelig, überhebliche Magier Klippstein (der von mir im Vergleich zum AB noch deutlich überzeichnet wurde) und die kindlichen Schutzbedürftigen Mädchen, Rothaar und Neva hervorgehoben.
+ Die Andersartigkeit des Abenteuers. Viele Probleme müssen gänzlich anders gelöst werden; Gewalt ist selten eine Alternative, während Magier auf ihre Magie verzichten müssen sowie alle Helden auf ihre Ausrüstung.
+ Das Erfolgserlebnis nach gelungenem Ausbruch
- Den Plottwist, der die Helden zwingt, länger in der Mine zu bleiben als geplant, hielten 2/4 Spieler für zu vorhersehbar
- Die Heldenmotivation müsste zu Beginn noch weiter gefördert werden