Rezension von Krassling (2007):
Wer das Fandom des Schwarzen Auges kennt, der kann immer wieder erleben, wie die Fans einem angekündigten Produkt entgegenfiebern. Der Unersättliche ist das erste mir bekannte Abenteuer, das dieses Phänomen noch übertraf, indem schon darüber gesprochen wurde, bevor das Abenteur auch nur angekündigt worden war. Nach dem Fall des Dämonenmeisters, dem Ende der Heptarchen Galotta und Rhazzazor und der Vernichtung des blutigen Oron stand die Frage im Raum: "Was ist eigentlich mit Xeraan?" Und tatsächlich ist es nur konsequent, dass dieses Thema nach dem Jahr des Feuers und den langen Kämpfen um Oron nun mit dem "Xeraan-Abenteuer" in einem 80 Seiten starken Harcover behandelt wird.
Mit Chris Gosse wurde ein Autor verpflichtet, der seine Qualitäten bislang kaum in eigenen Abenteuern unter Beweis stellen konnte, sich aber seit vielen Jahren in Redaktionskreisen bewegt und mit seinen modernen Ansichten durchaus als kompetent gelten darf. Wer den vorliegenden Band genau studiert, der wird hin und wieder auch auf die heitere Ader des Ostfriesen stoßen. Mit dem Unersättlichen wurde Chris Gosse die heikle Aufgabe anvertraut, die Machtverhältnisse in den Schwarzen Landen ein weiteres Mal umzugestalten. Und dass diese Neuordnung der Verhältnisse für den berüchtigten Schwarzmagier das Ende bedeuten würde, das dürfte wohl niemanden überraschen. Das äußerst gelungene Cover von Slawomir Maniak stellt auch gleich klar, dass Chris Gosse hier keine kleinen Brötchen backen würde. Xeraans legendäre Goldgier hat dem Heptarchen ein Vermögen beschert, das wohl seinesgleichen in Aventurien sucht. Doch Gold allein ist selbst für Xeraan nicht genug.
Das Abenteuer steht unter dem Zeichen der Invasion Haffax'. Der Fürstkomtur landet Ende 1028 BF mit seinen Truppen an der Piratenküste und fällt in Xeraanien ein. Der Angriff des alten Strategen bringt Xeraan in arge Bedrängnis. Um hier zu bestehen, muss der Bucklige alles auf eine Karte setzen. Für die Helden beginnt das Abenteuer in Khunchom. Hier treffen sie auf den jungen Leatmon Phraisop, den eine Vision der Göttin Peraine nach Kunchom geführt hat, und auf den alten Haudegen Rateral Sanin XII. Auf seinem Schiff, der berühmten Seeadler von Beilunk, einst stolzes Flaggschiff der Perlenmeerflotte, reist die Gruppe schon bald nach Ilsur, um der Vision Leatmons zu folgen und die Heiligen Quellen von Ilsur vor einer unbekannten Bedrohung zu schützen.
Für die Reise mit der Seeadler von Beilunk wäre es natürlich schön, wenn die Helden, oder doch wenigstens die Spieler das Abenteuer Blutige See (2001) von Anton Weste erlebt haben. Aber auch ohne diese Vorkenntnisse wird den Helden die Reise auf einem der mächtigsten Schiffe des Perlenmeeres mit seiner 300 Mann Besatzung wohl unvergesslich bleiben. Dem Ruf einer Prophezeiung folgend betreten die Helden feindliches Land und reisen nach Mendena, in Xeraans Zentrum der Macht. Ihr Ziel ist ein heiliger Krug, den Xeraan im Zuge der Invasion seinem gewaltigen Schatz einverleibte. Doch die Schätze des Buckligen sind gut gesichert, und die Helden müssen alle Schliche einsetzen, um ihre Mission zum Erfolg zu führen. Obwohl die Lage äußerst ernst ist und die Helden sich hier nur allzu leicht in Schwierigen bringen können, hält diese Episode doch manchen Schmunzler bereit. Kaum einer wird beim Anblick von Xeraans Goldenem Haus nicht an den Geldspeicher einer bekannten Entenhausener Persönlichkeit denken und wer angesichts der gebratenen Otternasen in der Arena noch ernst bleibt, der sollte Nachhilfe in Sachen Humor nehmen. Bedauerlich finde ich allerdings, dass der Autor auf die bekannten Gerüchte verzichtet hat, hier hätten ein paar Informationen zur Invasion und den Reaktionen der Bewohner plaziert werden können.
Nach einem eindrucksvollen, aber leider recht unergiebigen Besuch in der Unermesslichen Schatzkammer ziehen die Helden weiter, um endlich den Krug in die Hände zu bekommen und nebenbei noch ein bisschen Xeraans Bemühungen im Kampf gegen Haffax zu behindern. Mit etwas Glück können die Helden hier auch "mehrere tausend Dukaten" erbeuten. Wollen wir hoffen, dass sie selbst den Verführungen widerstehen, denen Xeraan erlegen ist. Zuletzt heißt es, nach Ilsur zurückzukehren. Wenn die Helden beim Einbruch in Xeraans Gemächer nicht völlig gepennt haben, dann steht ihnen in Ilsur noch ein rasanter Kriminalplot bevor, der jedoch unvermittelt von Xeraans Offensive gegen die Stadt beendet wird. Im Finale schließlich wird Xeraans Plan offenbar, in einer finalen Konfrontation müssen die Helden dem jungen Leatmon Phraisop beistehen, um Xeraan zu überwinden und seine Unbesiegbare Legion von ihren Qualen zu erlösen.
Die Art und Weise, wie dies geschieht, mag den einen oder anderen überraschen. Chris Gosse widersteht der Versuchung, dem Buckligen einen ruhmreichen Abgang auf dem Höhepunkt seiner Macht zu verschaffen, und auch die Uunbesiegbare Legion kann nicht durch Schwert und Stab besiegt werden. Erst als die Göttin selbst den Helden ihre Unterstützung gewährt, muss Xeraan die Waffen strecken und findet sein verdientes Ende. Nachdem Anton Weste an dieser Aufgabe mit Schlacht in den Wolken (2004) so kläglich gescheitert war, liefert Gosse hier ein überzeugendes Szenario ab, das nicht nur Antworten auf die Fragen von Meistern und Spielern liefert, sondern auch dem Ruf nach dem Eingreifen der Götter im Angesicht von Erzfrevlern und Dämonenbündlern überzeugend begegnet.
Neben den üblichen Anhängen liefert der Band eine ausführliche Beschreibung der Stadt Mendena, die wieder einmal durch eine der schönen Karten von Daniel Jödemann illustriert wird. Etwas schwierig wird die Sache natürlich dadurch, dass sich nach Xeraans Ableben gewisse Dinge ändern, auch wenn es hier nicht zu den großen Veränderungen kommt, die man vielleicht hätte erwarten können. Der Anhang IV zum Seekampf bedeutet leider keine Vorabveröffentlichung, der für Klar zum Entern! (2007) angekündigten Seekampfregeln, sondern ist lediglich ein Auszug aus dem Aventurischen Arsenal (2003). Der letzte Anhang liefert erstmals einen Überblick über Schwarztobrien nach dem Fall der Heptarchen. Die Beschreibungen erweitern und konkretisieren die Angaben, die im Aventurischen Boten 116 gemacht wurden, und gehen auch auf die aktuelle Lage in Beilunk und natürlich Ilsur ein. Mit dem Fall Xeraans gewinnt Darion Paligan auch endlich die Kontrolle über den Splitter der Erzdämonin und giert nun nach dem unheiligen Schwert Yamesh-Aqam, um seine Macht zu vervollkommnen. Gleichzeitig ist damit der Boden bereitet für die kommende Meeresspielhilfe Jenseits aller Küsten (2007), denn unter Haffax wird auch Mendena als Handelshafen wieder interessanter und die Blutige See zu einem kalkulierbaren Risiko.
Chris Gosse verspricht in seiner Einleitung, dass sich Der Unersättliche - oder besser seine Bezwinger - nicht durch ein Nadelöhr zwängen müssen, sondern eine Vielzahl von Möglichkeiten offen steht. Aus diesem Grund sind weite Teile des Abenteuers sehr offen angelegt und liefern oftmals nur den Hintergrund, vor dem die Helden dann agieren können. Wahrscheinliche Lösungswege werden angesprochen und durch weitere Informationen unterstützt, aber der Meister hat alle Freiheiten, das Abenteuer den Wünschen seiner Spieler anzupassen. Eine Stelle, an der letztlich doch nur eine Lösung zum Erfolg führen kann, scheint mir der Diebstahl des heiligen Kruges aus Xeraans Heerlager zu sein, doch mögen findige Spieler ja vielleicht sogar hier eine andere Lösung finden. Insgesamt merkt man dem Abenteuer immer wieder an, dass sich der Autor sehr eingehend mit seinem Handwerk befasst hat, auch die beiden prominenten Lektoren werden sicher ihren Beitrag geleistet haben. Die Form, in der die Informationen hier dargeboten werden, ist in jedem Fall vorbildlich, der Autor beherrscht darüber hinaus auch die aktuellsten Regeln so gut, dass ihm kaum etwas in dieser Richtung entgangen sein dürfte.
Der Unersättliche ist ein Abenteuer, dass sich an Helden mittlerer Erfahrung richtet und somit kein weiterer Ruf nach den Überhelden, die erst Borbarad in den Hintern getreten und danach noch mal eben Galotta vom Himmel gepustet haben. Der Einstieg setzt in der einen oder anderen Weise voraus, dass sich die Helden aus eigenem Antrieb im Kampf gegen die Schwarzen Lande engagieren und nicht erst nach der Entlohnung fragen. Wer damit ein Problem hat, der wird mit diesem Abenteuer seine Schwierigkeiten haben, denn der "Auftraggeber" der Helden kann ebenso wenig eine Bezahlung anbieten, wie sie die Mannschaft der Seeadler von Beilunk erwartet. Auch jene Spieler, die ihr primäres Vergnügen im Verhauen von Monstern und anderen meist zweibeinigen Opfern sehen, könnten hier leicht zu kurz kommen. In Mendena selbst ist Heimlichkeit und soziales Geschick gefragt, und in Ilsur wird beim Kampf gegen die Unbesiegbare Legion wohl auch kaum Freude aufkommen. Für solche Spieler sollte der Meister im Mittelteil ein paar handfeste Konfrontationen bereit halten, wie sie zum Beispiel der Überfall auf den Goldtransport darstellt.
Etwas schade finde ich das Fehlen weiterer Karten, wie sie zum Beispiel für das Goldene Haus oder Xeraans Heerlager interessant gewesen wären, aber gerade im ersten Fall hätte dies wohl die Freiheiten des Meisters eingeschränkt und damit wieder der ursprünglichen Idee im Weg gestanden. Dennoch bleibt festzuhalten, dass viele Meister hier wohl noch etwas Arbeit investieren müssen, um wirklich alle Fragen am Spieltisch beantworten zu können.
Fazit:
Nach längerer Zeit erscheint mit Der Unersättliche mal wieder ein Einzelabenteuer, das richtig Spass macht und auf ganzer Linie zu überzeugen weiß. Chris Gosse liefert hier ein Meisterwerk ab, das hoffentlich noch viele Nachahmer finden wird. Der offene Stil seiner Texte ist die Antwort auf die vielen Unkenrufe, die immer wieder mangelnde Flexibilität und zu wenig Spielraum in den Abenteuern der Reihe beklagen. Mit diesem Band hat es jede Spielrunde selbst in der Hand. Die Vorbereitung mag etwas aufwändiger sein, als es beim "Nacherzählen" eines Abenteuers der Fall ist, aber dafür dürfte sich der Meister dann auch auf alles vorbereitet fühlen. Die Spieler haben hier alle Freiheiten, ohne jedoch ziellos im Regen stehen gelassen zu werden. Dieser Band ist nicht nur wegen seiner Aventurien-politischen Bedeutung ein Muss, er macht einfach Spaß und sollte zur Pflichtlektüre eines jeden Meisters gehören.
Dass sich dieser Eindruck auch in der Punktewertung widerspiegelt, ist natürlich klar. Die Frage, für wie gelungen man den Plot hält, ist auf diesem Niveau natürlich auch eine Geschmacksfrage. Ich bin jedoch mit den Entscheidungen des Autors sehr einverstanden, so dass Der Unersättliche von mir die Höchstwertung (von 10 Punkten) erhält. Nach meinem Wunsch ist dieser Band durchaus richtungsweisend, und kein Abenteuer aus der Welt des Schwarzen Auges konnte mich bislang so überzeugen. Wer da nicht zugreift, der ist wirklich selber Schuld.