Rezension von Marc Völker (2009):
Linda Budinger beschreibt in dem Roman Eiswolf zwei zunächst scheinbar unabhängige Handlungsfäden. Das besondere dabei ist, dass die Handlungsbögen asynchron sind. Während die Handlung um Tjulf und die Suche nach dem Schwarzen Auge in der aventurischen Gegenwart spielt, läuft der zweite Handlungsbogen um den Firnelfen Ishariel etwas 200 Jahre in der Vergangenheit ab. Natürlich ist für den erfahrenen Leser relativ schnell klar, dass sich die Handlungsbögen auf ein gemeinsames Ziel zubewegen müssen. Dennoch bleibt die Handlung quasi bis zu letzten Seite unvorhersehbar und spannend. Der Leser kann den Ausgang der Geschichte lange Zeit nicht einmal erahnen. Dadurch ist die Motivation zum Weiterlesen dauerhaft sehr hoch.
Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass die Autorin ein hervorragendes Gespür für den Wechsel zwischen den Handlungsfäden beweist. Einerseits erfolgt der Wechsel zu einem Zeitpunkt, zu dem der laufende Handlungsbogen spannend genug ist, um den Leser mitfiebern zu lassen, wie die Handlung sich wohl weiterentwickelt. Anderseits verzichtet die Autorin jedoch auf die gehäufte Verwendung von Cliffhangern, sondern schließt die Szenen sauber ab.
Die beiden Hauptprotagonisten Tjulf und Ishariel werden von der Autorin schlüssig und glaubwürdig gezeichnet. Insbesondere gelingt es Linda Budinger, die Motivationen sowie insbesondere auch die Ängste und Schwächen der beiden Charaktere glaubwürdig herauszuarbeiten. Die Handlungen der beiden Charaktere sind für den Leser stets nachvollziehbar. Dadurch wirken die Charaktere sympathisch, und eine Identifikation mit den Figuren ist für den Leser einfach.
Alle weiteren Charaktere bleiben leider relativ oberflächlich und leblos. Ein weiteres Problem ist in diesem Zusammenhang die Anzahl der Charaktere. Da die Figuren nicht klar herausgearbeitet und abgegrenzt sind, ist es für den Leser extrem schwierig, die Figuren zu unterscheiden. Einzig und allein das Schiffsmädchen Niarna hat meiner Meinung nach noch genug Profil, um aus der Masse hervorzustechen.
Linda Budinger erzeugt in dem Roman trotz der quasi unendlichen Weite des Handlungsortes (oder vielmehr gerade wegen der unendlichen Weite) eine beklemmende Atmosphäre. Es gelingt ihr hervorragend, die Stimmung des hohen Nordens Aventuriens einzufangen und die Unwirtlichkeit der Landschaft sowie die über den Charakteren schwebende Gefahr darzustellen. Die Gefahr ist für den Leser förmlich greifbar. Um die Gefährlichkeit der Situation zu betonen, müssen regelmäßig Charaktere zu Boron fahren. Da die Charaktere jedoch zum Großteil nur angerissen sind, kann der Leser hier nicht wirklich mitfiebern, und der gewünschte Effekt geht meines Erachtens ins Leere.
In sprachlicher Hinsicht gibt es nichts an dem Roman auszusetzen. Eiswolf liest sich flüssig und angenehm. Etwas zwiespältig stehe ich der Verwendung der vielen nivesischen und firnelfischen Termini gegenüber. Einerseits tragen die Begriffe ganz maßgeblich dazu bei, den Nivesen und den Firnelfen ein exotisches Flair zu verleihen. Andererseits muss man hier selbst als DSA-Kenner für meinen Geschmack zu häufig ins Glossar blättern, und selbst dort sind nicht alle verwendeten Begriffe erklärt. Dieser Punkt dürfte insbesondere auf Nicht-DSA-Spielern eine recht hohe Hürde darstellen.
Die Hintergründe sind ordentlich recherchiert. Die Handlung fügt sich nahtlos in den aventurischen Hintergrund ein. Größere Unstimmigkeiten sind mir nicht aufgefallen.
Layout:
Eiswolf erscheint im Paperbackformat. Das Titelbild zeigt einen Wolf, der anscheinend einem Wanderer auflauert. Am Anfang des Buches findet sich die obligatorische Aventurienkarte. Vor dem Hintergrund, dass die Handlung zum Großteil eigentlich überhaupt nicht auf dieser Karte spielt, wäre hier zu Orientierungszwecken eine Karte des Handlungsortes wesentlich sinniger gewesen.
Aufgrund der Vielzahl der Protagonisten enthält Eiswolf eine dringend nötige Dramatis Personae. Darüber hinaus liefert die Autorin auch ein Glossar der verwendeten Fachbegriffe, dass jedoch leider unvollständig ist.
Fazit:
Mit Eiswolf liefert Linda Budiger einen qualitativ hochwertigen DSA-Roman ab. Die Handlung ist interessant und spannend. Leider hat der Roman ein paar handwerkliche Schwachstellen. DSA-Kennern kann das Buch dennoch relativ uneingeschränkt empfohlen werden. Neueinsteiger werden jedoch Probleme mit der Handlung haben. Von mir erhält Eiswolf 8 von 10 Punkten.