Rezension von Krassling (2006):
Eingefasst von der basaltenen Oberfläche, die für Das Schwarze Auge der 90er Jahre so typisch war, schmückt sich Das Fest der Schatten mit einem farbenfrohen Titelbild, welches das bunte Treiben des Grangorer Maskenballs anschaulich illustriert. Die Hafenstadt Grangor war bereits im Jahr 1988 Schauplatz zweier Abenteuer, darunter mit Die Kanäle von Grangor ein Band aus der Feder von Ulrich Kiesow selbst. Die Festlichkeiten zu Beginn des Monats Rahja sind ja den irdischen Karnevalsfeiern entlehnt, und gerade Grangor, das aventurische Venedig, bietet eine wundervolle Kulisse für ein Maskenspiel vom Feinsten. Man darf also gespannt sein auf den Inhalt dieses Abenteuers aus dem Jahre 1994.
Gleich zu Beginn gibt Michelle Melchers (heute Michelle Schwefel) eine Kostprobe ihres unverwechselbaren Stils zum Besten. Die Vorgeschichte für den Meister umfasst knapp drei Seiten und lässt sich gut lesen. Tatsächlich werden die Geschehnisse dieses Prologs noch eine Rolle im Abenteuer spielen, doch beschleichen mich erste Ahnungen. In einer Zeit, in der ein 50-seitiges Abenteuer als "üppig ausgestattet" galt, hätte man sich doch vielleicht ein etwas 'ökonomischeres' Vorwort gewünscht. Der Epilog am Ende des Abenteuers glänzt dagegen durch Kürze, kann mich in seiner Zusammenstellung aber nicht wirklich überzeugen.
Die Zusammenfassung des Abenteuers ist von einem dynamischen Bild von Christian Turk geschmückt, das einem schon die rechte Stimmung vermitteln kann. Ich beginne also zu lesen und stoße gegen Ende dann auf folgenden Satz: "Um auch Ihnen, werter Meister, ein Höchstmaß an Spannung bei der Lektüre dieses Abenteuers zu bieten, wollen wir auf eine weitere Zusammenfassung der Ereignisse, die Ihrer wackeren Helden harren, verzichten." Einen Moment lang stocke, ich, dann trübt Verständnis meine Sinne. Da steht es also Schwarz auf Weiß. Die Autorin bekennt sich mit voller Absicht zu ihrer Schandtat. Nun ist das Fehlen einer anständigen Zusammenfassung nichts, was ein Meister nicht ausgleichen könnte. Dennoch fühle ich mich ein wenig auf den Arm genommen. "Ein Höchstmaß an Spannung für den Meister" verheißt nichts Gutes in Puncto meisterfreundliches Skript.
Auch wenn die Autorin das nicht für wichtig hält, so wollen wir uns doch einen kleinen Überblick über den Inhalt verschaffen. Die Abenteurer verschlägt es zur Großen Warenschau nach Grangor. Dort angekommen dürfen sie zunächst ein wenig Stadtluft schnuppern und sich mit den Gepflogenheiten vertraut machen. Während die Festivitäten in Gang kommen, kommt es jedoch zu mehreren Mordfällen, denen die Helden natürlich nachgehen sollten. Nachdem die Helden einer toten Spur gefolgt sind, treffen sie auf einen uralten Vampir, der hier sein Unwesen treibt. Erneut müssen sie jedoch feststellen, an den Falschen geraten zu sein, denn das Unheil stammt von einem Schrecken jenseits der Dritten Sphäre. Während die Helden noch nach einer Waffe suchen, wird die Zeit knapp, denn in der ganzen Stadt verbreiten sich Gewalt und Irrsinn.
Beim Durchblättern des Abenteuers würde wohl kaum jemand auf den Gedanken kommen, ein Rollenspielabenteuer vor sich zu haben, wären da nicht die schwarzen Balken mit den Meisterinformationen, die Vorlesetexte notdürftig von Hintergrundgeschichten trennen. Man mag ein Freund von Vorlesetexten sein oder auch nicht, ein Abenteuer braucht keine Spielwerte, um dem Meister seine Arbeit zu ermöglichen, aber Frau Melchers hat diesmal kein benutzerfreundliches Produkt geschaffen. Vorlesetexte über Dreiviertel einer Seite sind keine Seltenheit und der Ausdruck der 'endlosen Bleiwüsten' scheint wie geschaffen für dieses Werk, zumal der Band mit gerade mal sieben Illustrationen im Innenleben auch optisch nicht gerade besticht.
Mich beschleicht dabei immer wieder der Eindruck, dass Frau Melchers die Texte einfach so geschrieben hat, wie sie ihrer Meinung nach chronologisch aufeinander folgen sollten und zum Schluss noch die Unterteilung in Allgemeine, Spezielle und Meisterinformationen darübergelegt hat. Die Möglichkeit, Texte auch anders zu gliedern und Beispielsweise Anhänge zu verwenden, hätte man auch damals schon erkennen können. In der zweiten Hälfte des Bandes erfreut uns Michelle Melchers beispielsweise mit einer Sammlung aventurischer Quellen aus dem Stadtarchiv. Wie ein Meister diese knapp zwei Seiten seinen Spielern aber am geeignetsten vermitteln soll, bleibt unklar. Ein Vorlesen ist sicher möglich, doch wäre es gerade in solchen Momenten angebracht ein Handout zur Hand zu haben. Eine Kopie ist jedoch zumindest von Seiten der Autorin nicht vorgesehen. Zunächst wäre da der schwarze Meisterbalken, der entfernt werden will. Des weiteren sorgt die unvorteilhafte Aufteilung der Texte dafür, dass die Spieler einen ganzen Haufen von Schnipseln und Fetzen in Händen halten werden. Warum man im Falle der Wetterchronik nicht einmal einen Zeilenumbruch spendiert hat, um den Text von der Quellenangabe zu trennen bleibt mir ebenfalls schleierhaft.
Die seitenlangen Texte ziehen sich durch den ganzen Band, und Vorlesetexte machen einen Großteil des Abenteuers aus. Ein Meister, der die Kunst des Vorlesens (oder Nacherzählens) nicht wirklich gut beherrscht und sie über einen ganzen Spielabend hinweg immer wieder zur Schau stellen kann, wird wohl schnell wenigstens einen Teil seiner Spieler vergraulen. Ich erwarb mein Exemplar von einem Meister, dem genau dies passierte. Doch auch einem guten Erzähler wollen vielleicht nicht alle den ganzen Abend zuhören. Rollenspiele leben schließlich von der gemeinsamen Interaktion aller Beteiligten. Wo Spieler über weite Strecken nur Zuhörer sind, kommt schnell Langeweile auf.
Nach dieser grundsätzlichen Kritik wollen wir uns noch ein paar konkreten Punkten zuwenden, die den Meister während des Abenteuers beschäftigen könnten. Dazu wollen wir uns ganz unkonventionell am Ablauf der Geschichte orientieren. Die Helden reisen wie üblich ohne besonderen Grund an, aber für einen echten Aventurier bietet die große Warenschau und das folgende Fest der Freuden allemal genug Motivation. So kommt es auch, dass die Helden beim Übersetzen mit der Fähre einen jungen Patriziersohn vor dem Ertrinken retten müssen. Hoffen wir nur, dass jemand in ihrer Runde daran gedacht hat, das Talent Schwimmen zu steigern, sonst könnte es peinlich werden. Ansonsten liefert diese Begegnung aber einen weitaus friedvolleren Einstieg, als das übliche "rettet den Pfeffersack vor den Straßenräubern".
Im Folgenden bietet nun die Warenschau und die ausufernden Festivitäten den stimmungsvollen Hintergrund für eine unheimliche Mordserie. Leider fehlt es diesem Band an vielerlei elementaren Dingen, die man heute wohl zurecht von einem Produkt erwarten würde. Die wahren Hintergründe der Morde muss der Meister sich aus den späteren Informationen zusammenklauben, was für sich genommen noch verzeihlich wäre. Leider sind die Mordfälle jedoch derart 'erzählend' beschrieben, dass jede Abweichung vom Plan den Meister allein dastehen lässt. Ebenso vergeblich wird man in diesem Band nach einer Beschreibung der Stadt Grangor oder wenigstens einigen Hinweisen zur Ausgestaltung der Festivitäten suchen. Dies ist sehr schade, da die feiernde Bevölkerung eine wichtige Rolle als Referenz für die zunehmende Gewaltbereitschaft der Menschen dient.
Die Helden wären gewiss keine Helden, wenn sie den Morden nicht auf den Grund gehen würden. Nachdem die 'blutige' Krimhelde Vanderzee als Verdächtige ausscheidet (zumindest wird dieser Ansatz nicht weiter verfolgt), rückt der Schwarze Brekker in Visier der Helden. Nachdem sich die Helden hier blutige Nasen geholt haben, kommt ihnen der Zufall zu Hilfe, und sie stoßen auf einen überaus interessanten Protagonisten. Diese Episode weckt gemischte Gefühle. Ein paar Helden der Stufen 8-12 sollten sich vielleicht doch von blutigen Anfängern unterscheiden, dafür werden den Spielern wohl die rauflustigen Gesellen in Erinnerung bleiben. Zumindest in meiner Spielrunde erinnerte man sich noch lange der gefürchteten Trunkenbolde mit den Spielwerten eines Garether Gardisten. Sehr schön wird dagegen die Begegnung mit dem Vampir Lucianus geschildert, dessen Konzeption zum damaligen Zeitpunkt eine echte Innovation darstellte.
Auf der Suche nach einer Waffe gegen ihren Feind sehen sich die Helden nun gezwungen, mit dem alten Vampir zu kooperieren. Auch wenn die kosmologischen Ansätze aus heutiger Sicht etwas gewagt scheinen, entwickelt sich die Szene recht gelungen. Wie gut die Szene, die gleichzeitig auf zwei "Ebenen" spielt tatsächlich gelingt, hängt wohl sehr stark vom Meister ab. Etwas schade finde ich es allerdings, dass der Bannstrahl Praios hier wieder einmal nur die Rolle des fanatischen Schlägertrupps einnimmt und ihr geweihter Anführer die Helden gar unauffällig auszuhorchen versucht.
Nachdem das retardierende Moment seinen Platz gefunden hat, strebt das Abenteuer nun unaufhörlich dem Ende zu, und für dessen Gestaltung stehen dem Meister tatsächlich genügend Möglichkeiten zur Verfügung. Danach ist es dann allerdings auch schnell vorbei, und Michelle Melchers lässt unsere Helden ruhmlos die Stadt verlassen. Gerade dieser Punkt mag aus heutiger Sicht doch recht störend wirken, weil die damalige Politik, den Helden jedes öffentliche Ansehen zu verweigern und ihre Heldentaten so zu gestalten, dass sie stets unbemerkt von der Öffentlichkeit stattfinden, nicht mehr wirklich zeitgemäß erscheinen will. Der literarische Epilog fällt dann ebenfalls überraschend kurz aus, auch wenn er schön an den Prolog anknüpft.
Fazit:
Das Fest der Schatten ist mit seinen zwölf Jahren nicht mehr das modernste DSA-Abenteuer, und das merkt man auch deutlich. Genau genommen handelt es sich hierbei um eine Geschichte, die die Spieler und ihre Helden nacherleben können. Nichts desto trotz ist diese Geschichte recht gelungen, und auch wer hier unter Railroading und seltsamen Zufällen leidet, wird vielleicht durch das furiose Finale versöhnt. Als Quelle zu Vampiren taugt dieser alte Schinken leider nicht, weil jeder Anhang zu diesem Thema fehlt. Die vielen Vorlesetexte sorgen ebenfalls dafür, dass man hier auf 48 Seiten weniger geboten bekommt, als man vielleicht erwartet. Vor diesem Hintergrund sollte eine Kaufentscheidung sorgsam abgewogen werden. Das Fest der Schatten kann zu einem unvergesslichen Erlebnis werden, doch muss der Meister sich auf einige Überarbeitungen gefasst machen, ebenso wie Spielrunden, die die ultimative Entscheidungsfreiheit verlangen, sich hier recht gegängelt fühlen werden.
In der Alveran-Wertung gibt die insgesamt doch recht spannende Geschichte den Ausschlag für 5 Punkte, so dass der Band einigen Antiquitäten doch noch etwas voraus hat. Der Leser möge jedoch die angesprochenen Unterschiede zu heutigen Publikationen beachten, die dem Meister einiges abverlangen.