Rezension von Fieser Meister (2011):
Äußere Erscheinung
Der 145. Bote ist – genau wie der letzte – 27 + 8 Seiten stark, wenn man Vorwort und Werbung abzieht. Das Titelbild finde ich nicht sehr gelungen, aber die ankündigenden Überschriften sind schön eingefügt und die helleren Farben geben dem Heft eine freundlichere Note als dem letzten.
Inhalt des Mantels
Also wenden wir uns schnell dem zu, was euch alle am meisten interessiert: dem Inhalt!
Der Bote beginnt mit einer Spielhilfe des Titels: „Die Kanzleien des Raulschen Reiches zu Elenvina“. Bei der Lektüre dieses Titels war ich zunächst voreingenommen, weil mir die zu nichts führenden Artikel über Elenviner Querelen aus vergangenen Boten mit der Zeit gehörig auf den Zeiger gegangen waren. Gleich auf der ersten Seite prangt zudem eine völlig mißlungene Übersichtszeichnung des Kanzleiviertels, die mein zwölfjähriger Bruder besser hinbekommen hätte. (Falls das „aventurisch“ aussehen soll: auch im Mittelalter bzw. in der frühen Neuzeit konnte man zumindest gerade Wände malen… Naja, besser eine miese Karte als gar keine Karte. Ich konnte mir jedenfalls alles viel besser vorstellen, da ich sie zur Verfügung hatte.) Dieser schlechte erste Eindruck wurde aber sogleich erschüttert – und wie! Der Autorin Tina Hagner gelingt es, auf nur gut zweieinhalb Seiten eine Spielhilfe zu schreiben, die alles hat, was man für einen ausreichenden Spielhintergrund benötigt. In knappen Sätzen verschafft sie ein Gefühl für die Stimmung im neugeschaffenen Kanzleiviertel, stellt wichtige NSCs vor und bringt sogar noch Mysteria & Arcana, Abenteuervorschläge sowie einen Kasten „ein Held aus dem Kanzleiviertel“. Zur Abrundung enthält der Artikel sogar noch einige lustige Anspielungen. Eine beeindruckende Leistung! Eine kleine inhaltliche Frage gestatte ich mir aber: wozu braucht das Neue Reich einen „Reichsherold“, wenn es doch schon einen „Obersten Herold“ gibt? Zumal, da beide in Elenvina sitzen und offenbar das gleiche zu tun haben?
Der nächste Text ist eine Übersicht „hilfreicher Werkzeuge des wandernden Fuchses“ und der erste Teil einer Reihe zu diesem Thema. Die kleine Spielhilfe bietet einige Gedanken und Anregungen zu Einbruchs- und anderen Diebeswerkzeugen. Ich finde das Thema zwar etwas dünn für eine mehrteilige Reihe, aber der Autor Christian Jeub hat seine Arbeit gut gemacht – man bekommt hier, was der Titel verspricht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das ist so absolut in Ordnung.
Es folgt eine zweiseitige Vorstellung des Fan-Projektes „Orkenspalter-TV“, das nicht nur mit den „Leuenklinge“-Filmen, sondern in den letzten Monaten auch mit Rezensionen zu DSA- und anderen Publikationen hervorgetreten ist. Dieses grundsympathische Projekt ist enorm rührig und hat nach des Rezensenten bescheidener Meinung in kurzer Zeit beachtlich viel geleistet. Schön, daß der Aventurische Bote diese Arbeit mit zwei Seiten für die Vorstellung würdigte. Da ist auch sofort verziehen, daß der abgedruckte Text kein Artikel, sondern von den Machern selbstverfaßte Eigenwerbung ist. Weiter so, Orkenspalter(-TV)! Die Vorstellung solcher Fan-Projekte ist generell eine hervorragende Methode, um noch breitere Aufmerksamkeit für die Aktivitäten außerhalb der offiziellen Auftritte und Veröffentlichungen zu erzeugen.
Als nächstes erlebte ich ein Dejà-Vu: wie schon im letzten Boten geht es auch in diesem wieder um die aktuelle Situation in Nostria und Andergast. Inklusive einem erneuten Abdruck des Bildes der nostrischen Königin. Bedauerlicherweise ist das ganze nicht als Teil 2 oder dergleichen gekennzeichnet und der Aufbau des Artikels ist ziemlich wirr. Ohne klarstellende Zwischenüberschriften werden hier Texte zum Neubau des Rahjatempels in Joborn mit solchen zur allgemeinen Lage und einem Ausblick auf die Zukunft der streitenden Königreiche (nebst Abenteuermöglichkeiten) aneinandergereiht. Dabei sind die Texte wirklich gut und stellen eine gelungene Ergänzung des Artikels aus dem letzten Boten dar. Nur an der Struktur und der Verbindung zum vorigen Artikel hätte gearbeitet werden müssen.
Auf den sieben folgenden Seiten breitet Oliver Baeck das Szenario „Der letzte Gruß“ aus. Diese liebevoll erzählte Episode, die der Autor in Birchaluk in Gorien angesiedelt hat, ist zeitlich (um einige Jahre nach vorne oder hinten) und örtlich (innerhalb des nordtulamidischen Raums) verlegbar und dürfte sowohl „Sandkastenspieler“ als auch „Eisenbahnfahrer“ zufriedenstellen. Inhaltlich knüpft es an die Ereignisse aus dem Abenteuer „Bastrabuns Bann“ an und ist für Helden mit niedriger Erfahrungsstufe ebenso verwendbar wie für erfahrene Helden. Über den Inhalt sei hier nur verraten, daß die Ereignisse des Abenteuers ebenso völlig nebensächlich und unwichtig sein könnten wie im Nachhinein hochbedeutsam und geeignet, Aranien und Gorien deutlich gefährlicher zu machen, als es bisher war… ganz wie der jeweilige Meister das möchte.
Die Seiten 20-22 bieten uns eine Übersicht über den derzeitigen Stand der Metakampagne „Hinter dem Schleier“ nach dem Sandkasten-Prinzip. Ähnlich der Spielhilfe zur Situation in Almada (AB #140) werden hier aktuelle Veränderungen im Leben der wichtigsten Protagonisten, politische Ereignisse und Intrigen vorgestellt. Mir gefällt besonders, daß hier auf engem Raum eine Fülle von Abenteuerideen gegeben wird. Der findige Meister wird aus den hier gebotenen Informationen mehrere Abenteuer zimmern können. Die Spielhilfe schließt somit spät, aber sehr gelungen die Lücke zwischen der Beschreibung in "Land der Ersten Sonne" und dem angekündigten Band "Schleiertanz". Ein Kritikpunkt: an zwei Stellen wird auf die bekannten „Sternchen“ verwiesen, die dem Meister anzeigen, daß Mysterien nicht mehr offizielle Verwendung finden werden. Leider scheinen diese Sternchen auf dem Weg von den Autoren zur Druckerei verloren gegangen zu sein, was den Nutzwert der Spielhilfe wieder etwas schmälert. Ein Erratum ist hier wünschenswert.
Weiter geht es mit einer Seite über Con-Auftritte und einer Seite über die Alveraniare. Nach der jahrelangen Posse um die angekündigten Alveraniars-Abenteuer endlich mal etwas positives und nettes: die offiziellen DSA-Meister geben Spielern die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen aus ihren Helden Meisterfiguren werden zu lassen, die dann auch in offiziellem Material verwendet werden. Wem es nichts ausmacht, seinen Helden aus der Hand zu geben, der wird sicherlich gerne zu dieser Möglichkeit des Helden-Ruhestandes greifen.
Die vorletzte Spielhilfe des Heftes (3 S.) ist das Pendant zum Artikel über den Aranien-Metaplot, nur das es hier um die Quanionsqueste geht. Stefan Unteregger legt hier nach seinem grandiosen Szenario aus dem letzten Boten nach und gibt einen fundierten Überblick über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses Kampagnenhintergrundes. Mehrwert für das Spiel bietet diese Spielhilfe, weil direkt umsetzbare Fragmente (genauer gesagt Orakelsprüche) genauso dargereicht werden wie Ansätze und Anregungen für die eigene Ausgestaltung (wenn auch etwas weniger als im Aranien-Beitrag). Genauso soll eine Spielhilfe sein!
Abgeschlossen wird der Mantelteil durch einen zweiseitigen Text über eine idealistische Barden-Gesellschaft in Myranor. Nichts Weltbewegendes, einfach ein kleines Element, das man als Meister einsetzen kann oder auch nicht. Schön, daß regelmäßig etwas für Myranor erscheint. Ach ja, nicht zu vergessen: den Autoren des Artikels gehört der Preis für die wohl blumigsten neuen NSC-Namen seit Langem!
Aventurischer Teil
Zum aventurischen Teil sage ich wieder nicht so viel, um keine Meisterinformationen auszuplaudern. Die längeren Berichte beschränken sich auf Informationen aus Aranien, den Nordmarken, Andergast, Thorwal und Albernia. Kurze Berichte gibt es aus Garetien und Warunk. In den Texten werden überwiegend die im Mantelteil abgesteckten Grenzen mit weiterem Spielinhalt gefüllt. Neben zwei Berichten, die offensichtlich mit dem Plot „Hinter dem Schleier“ zusammenhängen (einer davon empfängt bereits die Schatten, die der Bote #146 vorauswirft und erfreut mit einem versteckten Literaturzitat, das in dieser Umgebung passender kaum sein könnte), fallen besonders die Berichte aus Albernia auf. Gruppen, deren Helden bereits im Albernia-Plot der vergangenen Jahre aktiv waren, können hier anschließen und werden gleich mit Material versorgt.
Thorwal-Spieler werden sicherlich mit Spannung erwartet haben, wie sich die Berichterstattung zum Land ändert, nachdem mit Ragnar Schwefel der „Oberthorwaler“ nicht mehr für (das offizielle) DSA schreibt. Sie seien beruhigt: Thomas Römer ist es gelungen, zwei lesenswerte und augenzwinkernde Artikel zu verfassen, die wiederum – man ahnt es bereits – gute Ansätze für das Spiel in der eigenen Gruppe bieten.
Der aventurische Teil bestätigt somit den sehr guten Eindruck von diesem Boten.
Gesamteindruck und Fazit
Ich hoffe, nun nicht für einen Jubelperser gehalten zu werden, wenn ich nahezu nichts auszusetzen habe – dieser Bote ist tatsächlich so gut und ich bin begeistert. Es ist der wohl beste Bote seit langer Zeit und rechtfertigt die Annahme, bei den massiven Mängeln in der Zeit nach der Umstellung „auf Farbe“ habe es sich nur um Kinderkrankheiten gehandelt. So, wie sich der Aventurische Bote in seinem neuesten Heft präsentiert, ist er jedenfalls rundum empfehlenswert und seinen Preis absolut wert. Eine grob schätzende Umrechnung des gebotenen Materials in Spielzeit läßt das Heft mit so manchem offiziellen Abenteuer konkurrieren, und zwar absolut, nicht relativ!
Ich gebe daher eine ganz klare, unbedingte Kaufempfehlung und vergebe neun von zehn Orkschädeln.