Rezension von Krassling (2007):
Das vorliegende Abenteuer war ursprünglich als Teil der Anthologie Kar Domadrosch (2005) geplant, welche die Zwergen-Spielhilfe Angroschs Kinder (2005) mit Abenteuern unterfüttert. Damals wurde jedoch bekannt, dass das Abenteuer wegen seiner "historischen Bedeutung für die Zukunft der Angroschim" ausgegliedert und in einem eigenen Band veröffentlicht werden sollte. Diese Entscheidung billigte dem Abenteuer mehr Platz zu und erlaubt es jenen Käufern mit einem besonderen Interesse am "aventurischen Tagesgeschehen", den Band gesondert zu erwerben. Mit Daniel Jödemann, Katharina Pietsch und Martin Lorber waren zudem auch Autoren gewonnen worden, die nicht nur an der zugehörigen Spielhilfe mitgewirkt hatte, sondern sich auch zum Teil bereits einen Namen als Autoren von Abenteuern gemacht hatten. Die Freunde des Kleinen Volkes durften sich also freuen.
Das Abenteuer Die letzte Wacht thematisiert die Innenpolitik der Angroschim und greift einige Fäden auf, die sich über weite Strecken verfolgen lassen. Als Albrax von Waldwacht überraschend zum Hochkönig der Zwerge gewählt wurde, glaubte man noch daran, dass der Schwarzmagier Borbarad und seine Anhänger, zu denen auch der Schwarze Drache Rhazzazor gehörte, die größte Bedrohung der Angroschim wären. Nach einer Vision verkündete der Hochkönig jedoch, dass den Angroschim ein neues Heldenzeitalter bevorstehe, und sich die Zwerge für die "Letzte Schlacht" zu rüsten hätten. Gerade in Xorlosch stieß er mit dieser Ankündigung auf wenig Gegenliebe und machte sich zudem Feinde, als er sich weigerte, den Karfunkel des Schwarzen Drachen zu zerstören, wie es bei den Angroschim seit Alters her Brauch ist.
Inhaltlich lässt sich Die letzte Wacht in zwei wesentliche Teile gliedern. Nachdem die Helden im Prolog die junge Angrosch-Priesterin Angraxa kennen gelernt haben, begleiten sie die Zwergin nach Xorlosch, der heiligen Stadt der Zwerge. Als die Geweihte jedoch von einem Besuch im Tempel nicht mehr zurückkehrt, werden die Helden misstrauisch. Ihre Nachforschungen werden von den fremdenfeindlichen Xorloscher Zwergen massiv behindert, doch gelingt es den Helden, ein uraltes Geheimnis zu entdecken, das entscheidenden Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Zwerge haben wird. In einem gelungenen Finale retten sich die Helden in die Große Halle und erleben den Moment mit, an dem das Schicksal der Zwerge eine neue Wendung erfährt. In der Folge der Ereignisse werden die Helden beauftragt, den heiligen Hammer der Angrosch-Kirche nach Malmarzrom, der Hammerhöhle, zu bringen. Die Überführung des Hammers hat für die Zwerge schwerwiegende theologische Konsequenzen und steht eng mit dem bevorstehenden Heldenzeitalter in Verbindung. Die Reise von Xorlosch zur Malmarzrom bildet den zweiten Teil des Abenteuers und verläuft ebenfalls nicht ohne Zwischenfälle. Die erzkonservativen Gegner der Helden setzen alles daran, die heilige Mission zu stören.
Die Autoren verbinden in ihrer Idee geschickt verschiedene Setzungen, die in den letzten Jahren für die Zwerge gemacht wurden. Auf den ersten Blick erscheint die kriminalistische angehauchte Story um die legendäre 49. Stele äußerst gelungen. Leider liegt jedoch hier der Teufel im Detail, und einige Stolpersteine konnten die Autoren nicht wirklich ausräumen. Nach dem Verschwinden Angraxas in Xorlosch erleben die Helden die unverhohlene Ablehnung und Fremdenfeindlichkeit der Erzzwerge. Anstatt jedoch die Stadt zu verlassen, wie es frustrierte (Spieler-)Helden vielleicht tun würden, sollen die Großlinge auch noch widerrechtlich in den Tempel eindringen und die gefangene Angroschna befreien. Bis zur Entdeckung der verborgenen Stele bewegen sich nicht nur die Helden auf sehr dünnem Eis. Auch dem Meister wird hier eine schmale Gratwanderung zugemutet, für die er kaum Hilfestellungenn erhält. In vieler Hinsicht verwirrend sind auch die Ergebnisse der spektakulären Enthüllung. Es wird in keiner Weise ersichtlich, ob die Gilde durch das Aufdecken ihrer schändlichen Taten zur Rechenschaft gezogen wird. Vielmehr scheint ihre Position in Xorlosch so sehr gefestigt, dass die Helden nur einen hohlen Sieg errungen haben und die Gilde bald wieder das Heft fest in ihrer Hand haben wird. Inwieweit die Helden angesichts dieser Zustände tatsächlich Lust verspüren, die heilige Mission zu erfüllen, die ihnen der Bewahrer der Kraft auferlegt, sei einmal dahingestellt.
Den Kontrast zum ersten Teil bildet nun die Reise nach Malmarzrom. Angesichts ihrer Mission begegnet man den Helden mit Respekt, die Feinde treten eher offen in Erscheinung. Leider fällt auch die Qualität der Ausarbeitung in diesem zweiten Teil deutlich ab. Auf den zehn Seiten wird immer wieder deutlich, dass den Autoren der Platz fehlt. Interessante Schauplätze und gelungene Ideen werden hier kurz und schmerzhaft abgehandelt. Den Stählernen Hallen von Lûr ist eine halbe Seite gewidmet, die so gar nicht zu dem ehrfürchtigen Ton passen will, in dem die Angroschim von diesem Ort berichten. Ernüchternd ist auch die Kreaturenliste, die der Leser auf Seite 39 findet. Dies will mir so gar nicht zum Stil eines modernen Abenteuers aus der Reihe passen.
Insgesamt gesehen kann Die letzte Wacht meine Erwartungen nicht erfüllen. Dabei gibt es durchaus Höhepunkte, an denen die Autoren ihr Können unter Beweis stellen. Das Runenrätsel zählt für mich zu den gelungensten Platzierungen eines Rätsels überhaupt, und auch viele kleine Szenen überzeugen durch ihren besonderen Charme. Über den Details scheinen die Autoren jedoch die größeren Zusammenhänge vergessen zu haben. Immer wieder gibt es Stolpersteine für Spieler und Meister, und die Spieler werden wohl gerade im ersten Teil eine hohe Frustrationsschwelle brauchen. Das unvermeidliche Platzproblem kann man freilich kaum jemandem vorwerfen. Kritisieren kann man jedoch, dass der erste Teil des Abenteuers so klar gegenüber dem späteren Reiseteil bevorzugt wurde. Aus meiner Sicht wäre hier eine ausgewogenere Mischung angezeigt gewesen.
Fazit:
Die letzte Wacht bietet den Helden Gelegenheit, ein Abenteuer in der verschlossenen Gemeinschaft der Zwerge zu erleben und bedeutenden Ereignissen beizuwohnen. Die Helden beenden das Abenteuer als ausgezeichnete Angaraxanim, die dereinst in der Letzten Schlacht für die Angroschim kämpfen sollen. Nach den internen Streitigkeiten, die die Helden erlebt haben, werden sich die Spieler aber wohl fragen, ob das nun ein Vorteil oder doch eher eine unliebsame Verpflichtung ist. Jene Spieler, die bislang wenig mit den Angroschim am Hut hatten, gewinnen hier zweifellos einen guten Einblick in die Kultur der Zwerge und werden vielleicht in Zukunft klug genug sein, sich von ihnen fern zu halten. Bei den Zwergenfans oder gar Spielern wird die Frustration wohl am größten sein. Ein Zwerg unter den Helden wird in diesem Abenteuer jedenfalls kaum besonders zum Zug kommen. So bleibt dieses Abenteuer als Referenz und vielleicht auch Ideengeber interessant, kann mich aber als Abenteuer in der vorliegenden Form nicht überzeugen.
Diese eher unerfreuliche Geschichte schlägt sich auch in einer geringeren Wertung in der Kategorie Plot nieder. Gerade die Schwächen im zweiten Teil verhindern eine Aufwertung in den anderen Bereichen, so dass Die letzte Wacht trotz einiger Glanzpunkte in meiner Betrachtung nicht über eine durchschnittliche Wertung hinaus kommt.