Benutzer:StipenTreublatt/Liriel Treublatt

aus Wiki Aventurica, dem DSA-Fanprojekt

Ein Blick in den Handspiegel zeigte nur, dass sie wie immer aussah: Die Augen ein Stück zu groß, die Nase ein Stück zu klein, das Kinn ein Stück zu menschlich, die Ohren ein Stück zu elfisch, die Haare zu struppig für einen Elfen, aber zu fein für einen Menschen. Eine typische Halbelfe eben, das Resultat, wenn ein Mensch und eine Elfe auf die dumme Idee kamen, dass sie ja Nachwuchs miteinander zeugen könnten.

Immerhin sah sie nicht so schmutzig aus, wie sie es befürchtet hatte, und das, obwohl sie mehrere Tage lang durch den Wald gereist war. Ihre Mutter sah nach solchen Reisen immer aus, als hätte sie gerade ein Bad genommen, aber Liriel schien den Schmutz auf eine geradezu magische Weise anzuziehen, was ihre Mutter beschämenderweise auch noch als "süß" bezeichnete, als wäre sie immer noch ein kleines Kind. Aus ihrer Sicht war sie das wohl - obwohl sie nie erfahren hatte, wie alt ihre Mutter war, war ihr sehr gut bewusst, welche Lebensspannen Elfen erreichen konnten. Auch etwas, was ihr als Halbelfe verwehrt bleiben würde.

Seufzend legte sie den Handspiegel wieder zur Seite und schaute sich weiter im Raum um. Diese Baumhäuser in Gerasim waren schon sehr eigenwillig - selbst ihre Mutter hatte, bei aller Liebe zu ihrem großen Garten, lieber im Magierturm übernachtet als in einer Pflanze - aber Miras Wohnung war noch ein Stück eigenwilliger. Allein der tulamidische Teppich, der den Boden bedeckte... wie hatte sie diesen überhaupt hierher geschafft? Sie war Gelehrte, nicht gerade wohlhabend, und im Gegensatz zu Liriel auch nicht magisch begabt...

Richtig, der Grund für ihren Besuch hier. Sie wollte sich verabschieden, auf Reisen gehen. Ihr Vater hatte sie nach Gareth geschickt, die Abschlussprüfung an der Akademie ablegen. Sodass sie wie er das verbriefte Recht erhalten würde, eine Rüstung und ein Schwert zu tragen. Liriel hatte andere Pläne; nicht in Bezug auf das Schwert und die Rüstung - ihr Vater hatte sie in Beidem unterrichtet, und so sehr sie diesen Unterricht gehasst hatte, sie kam mittlerweile gut mit Beidem zurecht, und sie würden ihr möglicherweise auf Reisen nützlich sein - aber in Bezug auf die Reise nach Gareth. Kampfmagie, das direkte, brutale Vernichten von Leben, war nicht die Art von Magie, die sie ihr restliches Leben lang praktizieren wollte. Ihr Vater ließ darüber natürlich nicht mit sich reden, bei solchen Gelegenheiten zählte er immer nur auf, in welchen Situationen diese Magie ihm und anderen das Leben gerettet hatte. Außerdem versicherte er ihr, dass man sich "nebenbei" auch mit allen anderen Arten der Magie beschäftigen konnte, speziell Limbus-Magie war ja sein Steckenpferd. Nun, da Liriel es aber fertiggebracht hatte, als Kind einer Elfe und eines genialen Magiers eine deutlich weniger intuitive Begabung für Magie aufzuweisen, war ihr nur zu deutlich bewusst, dass sie sich auf ein Gebiet würde beschränken müssen, um auch nur hoffen zu können, eine ähnliche Meisterschaft in einem Gebiet zu erreichen, wie ihr Vater sie in mehreren Gebieten aufwies.

Miras Eintreten schreckte sie aus ihren Gedanken. Eine Elfe hätte die Annäherung natürlich schon früher wahrgenommen... "Liriel, schön dich zu sehen!" Ihr schönes Lächeln ließ das Herz der Halbelfe wie immer schneller schlagen. "Du bist nicht überrascht, mich zu sehen." lautete ihre Antwort, wie immer eine Spur zu unterkühlt - ein Erbe ihrer firnelfischen Mutter oder ihres eigenbrötlerischen Vaters? Mira lachte ihr schönes Lachen, während sie ihren Korb abstellte. "Du bist nicht gerade unauffällig!" Eine weitere Unzulänglichkeit, ein kleiner Stich in ihr Herz... auch wenn Mira es mit Sicherheit nicht so meinte. Ein paar Augenblicke schwieg sie, während Mira ihren Korb ausräumte. "Ich werde auf Reisen gehen." kam sie dann aber direkt auf den Punkt. "Ja? Wohin? Nach Gareth?" erkundigte sich Mira interessiert. "Nein, nicht nach Gareth." erwiderte Liriel fest. Mira schaute sie überrascht an. "So? Wohin dann?" Liriel zuckte mit den Schultern. "Irgendwohin. Aber auf jeden Fall nicht nach Gareth." Mira trat einen Schritt näher. "Die Abschlussprüfung wäre aber in Gareth, ja?" Liriel nickte nur und verschränkte die Arme vor dem Körper. "Verstehe..." Mira seufzte und sah Liriel voller Mitgefühl an. "Bleibst du dann noch ein paar Tage?" Die Halbelfe biss sich auf die Unterlippe. "Ich kann nicht." Mira trat einen weiteren Schritt näher und strich ihr sanft eine störrische Strähne aus dem Gesicht. "Warum nicht?" "Weil... ich habe Vater gesagt, dass ich sofort aufbreche, und du weißt doch, er hat Kontakte hier..." Mira legte den Kopf schief und sah sie aus ihren wunderschönen dunklen Augen an. "Ist es wegen mir?" Liriels Augen wurden groß. "Nein! Nein. Nicht wegen dir. Ich..." Sie schluckte, hob vorsichtig die Hand und spielte mit einer dieser langen, dunklen Locken. "Ich würde gerne bei dir bleiben. Aber ich kann nicht." Ein paar Augenblicke sahen sich die beiden Frauen einfach nur an. "Wissen deine Eltern eigentlich von mir?" erkundigte sich Mira skeptisch. "Ich... glaube nicht?" Liriel war sich wirklich nicht sicher - sie hatte mit ihren Eltern über alles mögliche geredet, aber nicht über ihre Freunde. "Glaubst du, sie hätten etwas dagegen?" bohrte Mira weiter. "Nein, natürlich nicht. Ganz im Gegenteil, sie wären begeistert: Du bist eine kluge Gelehrte, liebst Pflanzen, und obendrein bist du auch noch wunderschön." schwärmte Liriel. Irritierenderweise hob Mira nur eine Augenbraue. "Du hast mich also ausgewählt, um den Erwartungen deiner Eltern gerecht zu werden?" Verwirrt schüttelte Liriel den Kopf. "Nein! Ich... ich habe dich ausgewählt, weil... ich dich liebe." Miras Lächeln war diesmal wie eine Morgensonne, die die letzten Reste der Dunkelheit vertreibt, und Liriel war sich auf einmal sicher, dass sie alle Schwierigkeiten des Lebens würde meistern können - mit dieser Frau an ihrer Seite.