Rezension von Krassling (2009):
Üblicherweise erscheint an dieser Stelle mein stetes Lamentieren über die nicht enden wollende Flut von Anthologien, deren Eigenarten mich zumeist nicht erfreuen. Dies sei dem Leser heute erspart. Strandgut ist die Anthologie zu Efferds Wogen (2007) und unterstreicht damit den Charakter der blauen Spielhilfe als heimliche Regionalspielhilfe. Der hundertseitige Hardcoverband enthält nicht nur fünf (!) Abenteuer, sondern wartet noch mit einem kleinen Anhang auf, der dem interessierten Meister eine Reihe von Anregungen bietet, die er für die Ausgestaltung seiner Seereisen nutzen kann. Dass im Anhang auf zwei Seiten ebenfalls die Regeln für den Kampf unter Wasser aus Efferds Wogen noch einmal abgedruckt werden, wäre in meinen Augen nicht nötig gewesen, wiewohl die zwei Seiten vielleicht auch noch zu verschmerzen sind.
Immerhin eine weitere Seite wurde dem Band spendiert für ein Vorwort und eine kurze Zusammenfassung der Abenteuer, in der Redakteur Sebastian Thurau einen groben Überblick über die Abenteuer und erste Hinweise für den Einbettung in die eigene Chronik liefern kann. Erwähnenswert ist hier zudem das Cover, welches mich spontan an eine Szene aus 1492: Conquest of Paradise (1992) denken lässt. Die Assoziationen zur neuen Welt lassen mich spontan den verfrühten Beginn einer Uthuria-Kampagne (geplant für 2010) erwarten, doch immerhin gibt es auch in Strandgut ein Abenteuer, welches sich der Erkundung ferner Eilande widmet.
Perlwasser
In seinem Entdecker-Szenario lässt Alveraniar Elias Moussa gewissermaßen die alten Zeiten auferstehen. Sein Beitrag ist der Einzige, zu dem das stimmungsvolle Coverbild richtig passt. Moussa lässt seine Helden zu einer Fahrt in unbekannte Gewässer aufbrechen und sie Inseln erforschen, die schon lange keine Menschenseele mehr betreten hat. Wer sich hier an die Erkundung der Südsee aus der Südmeer-Tetralogie aus den Jahren 1986 bis 89 erinnert fühlt, der liegt genau richtig. Die Entdeckung unbekannter Eilande ist der Stoff für klassische Abenteuer zur See, und so ist es auch kein Wunder, dass zur idealen Besetzung zumindest der eine oder andere Entdecker, Forscher und Seemann gehören sollte.
Eine Möglichkeit, die der Autor vergisst zu erwähnen, ist natürlich der Einsatz einer Heldengruppe, welche im Besitz eines eigenen Schiffes ist. Das Abenteuer beginnt mit dem Ausrüsten einer eigenen Expedition. Vielerlei Hindernisse gilt es hier zu überwinden, von der leidigen Finanzierung bis zu gewalttätigen Widersachern kann der Meister hier alle Register ziehen. Leider wird er die Anregungen des Autors selbst ausgestalten müssen, da es hier einfach am Platz fehlt, alle Möglichkeiten ausführlicher zu beschreiben. Ein eigenes Schiff würde die Aufgabe der Helden hier natürlich wesentlich erleichtern. Die Finanzierung wird hier mit einigem buchhalterischen Aufwand beschrieben. Ich selbst bin kein Freund dieses umständlichen Verfahrens, aber Moussa ermuntert seine Leser ohnehin immer wieder, Anpassungen und Änderungen nach Wunsch vorzunehmen, um das Abenteuer auf die Gruppe maßzuschneidern.
Nach einer Seereise erreichen die Helden das Archipel der Perlen, welches in den vergangenen Jahrtausenden immer wieder neu entdeckt wurde und anschließend wieder in Vergessenheit geriet. Die zahlreichen Inseln des Archipels bieten den Spielplatz für klassische Exploration. Man fühlt sich förmlich zurückversetzt in alte Zeiten, Expeditionen ins Südmeer und andere Abenteuer in denen es noch galt, unbekannte Gestade zu erkunden. Die Logik bleibt bei den vielen verschiedenen Tieren und halbintelligenten Rassen manchmal ein wenig auf der Strecke, aber das ist hier zunächst einmal egal. Das bunte Potpourri bietet den Spielplatz für die Helden und ihre Erkundungen. Jede Insel kann die Bühne für ein eigenes kleines Abenteuer sein und stellt die Helden immer wieder vor neue Herausforderungen.
Irgendwann wird dann zum großen Finale eingeleitet. Die Helden stoßen auf die Überlebenden der letzten Expedition und entdecken wenig später den Fluch der Eilande und seine unheilige Quelle. Dann ist es wieder an den Helden zu entscheiden, wie sie weiter vorgehen wollen und welches Ende ihre Expedition nehmen wird. Moussa stellt auch hier wieder eine bunte Sammlung von Elementen bereit, um ein spannendes Ende zu ermöglichen. Eine Jahrhunderte alte Drachenschildkröte, dämonische Werwesen und ein Vermächtnis aus einem untergegangenen Zeitalter sind nur einige Zutaten, die hier zu finden sind.
Perlwasser ist ein Entdecker-Szenario welches eine farbenfrohe Fülle von Möglichkeiten bietet, die hier naturgemäß stark verdichtet wurden. Natürlich muss man bereit sein, sich auf die 'phantastischen' Wunder der fernen Inseln einzulassen, doch dann kann Perlwasser zu einem unvergesslichen Szenario werden. Eine intensive Vorbereitung durch den Meister stellt mit Sicherheit eine Bereicherung dar. Auch ohne dem kann dieses sehr offene Szenario sicher geleitet werden, doch büßt es dann deutlich an Potential ein.
Auch fernab aventurischer Küsten lauern schreckliche Gefahren, denen man lieber aus dem Weg gegangen wäre. Ob man diesen freundlichen Herren ein 'Parlez' anbieten kann?
Trommeln der See
Mit gerade einmal zehn Seiten steuert Nachwuchs-Redakteur Uli Lindner ein sehr kurzes Szenario bei. Dementsprechend ist Trommeln der See auch als Intermezzo für Schiffsreisen geschrieben und kann leicht in ein anderes Abenteuer integriert werden. Der Autor bietet hier ein klassisches Closed-Room-Szeario an, bei dem die Helden unter Zeitdruck einen Mörder unter der Besatzung finden müssen. Routiniert wird eine äußere Bedrohung implementiert, die für den nötigen Druck sorgt, und auch an Verdächtigen hat man nicht gespart. Insgesamt also alles was man für ein Abenteuer dieser Machart braucht.
Lindner liefert dabei die Ausgangslage und lässt den Leser dann weitgehend mit der Situation allein, oder besser er eröffnet den Spielern alle Möglichkeiten, die Geschichte nach eigenen Wünschen zu gestalten. Dabei sind verschiedene Enden möglich. Neben dem detektivischen Vorgehen gibt es hier obendrein einen moralischer Konflikt, da die Helden durchaus versuchen können, den berechtigten Forderungen der Gegenseite mit Gewalt zu entgehen.
Aufgrund des deutlich kürzeren Umfangs auch im Vergleich zu anderen Beiträgen wirkt Trommeln der See fast wie ein aufgebohrter Szenariovorschlag. Unbedingt zu loben ist die Vielseitigkeit. Das Abenteuer lässt sich beinahe überall im Perlenmeer spielen und kann als Intermezzo jede andere Seereise bereichern. Auf kleinem Raum liefert Uli Lindner alles, was es dafür braucht.
Chalwens Thron
Mit dem dritten Beitrag der Anthologie begibt sich das Autoren-Duo Heike Wolf und Dennis Schmidt-Bordemann auf eine Reise zu einem der exotischsten Schauplätze in Aventurien. Im Fokus steht hier weniger die Seefahrt, als vielmehr das Reich unter den Wellen, welches ja auch in Efferds Wogen ausführlich beschrieben wird. Das hier uralte Geheimnisse ruhen, wird in Küppers Spielhilfe mehr als einmal deutlich, und so tauchen wir hier hinab zu Chalwens Thron und den versunkenen Reichen der Sumurrer.
Leider kommt das Abenteuer doch etwas schleppend in Gang. Seinen Anfang nimmt es in der Nacht des Lichts, einem hohen Feiertag der Hesinde und des Efferd in Elburum. Zwar wird hier mit dem mirakulösen Feuerschlick eine stimmiger Eintritt in das Abenteuer um die vsionäre Riesin Chalwen gefunden, doch ist die Beauftragung durch eine Efferd-Novizin etwas unglücklich. Der Bitte der jungen Novizin nachkommend, sollen die Helden dann in die Schule der heilenden Hand einbrechen, eine medizinische Fakultät, in den früheren Räumlichkeiten der berüchtigten Schule der Schmerzen. Dies allein mag sicher noch angehen, doch ist für den weiteren Verlauf auch noch ein Diebstahl aus den anatomischen Forschungsstätten notwendig. Nicht allen Helden werden sich mit diesem Vorhaben so leicht tun.
Der zweite Teil des Szenarios findet dann konsequenterweise unter Wasser statt. Etwas unglücklich ist es in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Helden die einschlägigen Probleme des Unterwassersettings (Atmung, Licht, Kälte) ganz allein lösen müssen. Wenig hilfreich sind an dieser Stelle auch die Hinweise auf all die Dinge, die sich in Elburum nicht beschaffen lassen. Sobald die Helden in den Fluten des Golfes von Perricum versinken, wird das Abenteuer sehr kampflastig. Die Helden stoßen rasch auf Verbündete und befinden sich danach praktisch unaufhörlich in Gefechten. Da der Kampf unter Wasser für die meisten Helden etwas sehr Ungewohntes sein dürfte, und die traditionellen Kämpfer möglicherweise stark beeinträchtigt sind, kann das hier schnell zum Tod eines oder mehrerer Helden führen. Das Ende begehen die Autoren mit einem Knalleffekt, der sich durchaus sehen lassen kann. Immerhin gibt es hier eine Lösung, die das Eingreifen der Helden erforderlich macht und dennoch nicht von deren militärischer Überlegenheit ausgeht. Der Deus ex machina kann also nicht ohne Zutun der Helden erscheinen, und das unbedingte Niederringen der Schurken, koste es was es wolle, darf auch entfallen.
In der Rückschau besticht Chalwens Thron durch eine tolle Idee und sein exotisches Setting. Leider ist der Plot gerade am Anfang schwach in der Umsetzung. Hier kann es durchaus zu Problemen kommen, die ein Meister umschiffen muss. Der zweite Teil ist rasant, aber auch sehr gefährlich. Gerade weil klassische Kämpfer hier nicht unbedingt ihre Stärken ausspielen können, kann dies bei konsequentem Ausspielen der Antagonisten zu frustrierenden Situationen am Spieltisch führen.
Fluch der Schwarzen Schlange
Matthias Freund und Lena Kalupner entwerfen in ihrem Beitrag ein Closed-Room-Szenario, welches in seinen Strukturen Lindners Trommeln der See ähnelt. Die Helden gehen irgendwo an der aventurischen Westküste an Bord der Pelikan. Vom Kurs abgekommen, werden die Helden auch hier mit einem Mord konfrontiert. Die Zahl der Verdächtigen ist groß, und tatsächlich bieten die Autoren sogar explizit die Möglichkeit, verschiedene Figuren zum Täter zu machen. Der äußere Druck entsteht in diesem Fall durch eine Reihe von unheimlichen Ereignissen, die das Schiff bedrohen und schließlich an den Rand des Untergangs führen.
Natürlich ist der Mord an Bord eines Schiffes der absolute Klassiker seines Genres. Es ist nicht ganz einfach, hier wirkliche Innovationen zu präsentieren. Dennoch sorgen die Autoren hier für genügend Elemente, die dieses Abenteuer auszeichnen. Die hohe Flexibilität sorgt auch hier wieder dafür, dass der Fluch der Schwarzen Schlange beinahe überall an der Westküste seinen Anfang nehmen kann. Die verschiedenen Personen sind gut herausgearbeitet und fügen sich gut in das Geflecht des Kriminalfalles ein. Zudem macht es die schwache Besetzung des Kapitäns plausibel, dass die Helden überhaupt so frühzeitig in dieser Sache ermitteln können.
Im Unterschied zum ersten Mordszenario wird hier eine etwas klarere Linie in Form eines zeitlichen Verlaufes vorgegeben. Die Helden agieren zunächst im Rahmen bestimmter Ereignisse. Diese können dem Meister gewissermaßen als Leitfaden dienen, um seine Helden durch das ansonsten frei ausgestaltbare Abenteuer zu führen. Die etwas ungewöhnliche magische Komponente verleiht dem Abenteuer darüber hinaus den phantastischen Touch und sorgt obendrein zum Ende hin für eine dramatische Zuspitzung der Ereignisse. Damit erhält man hier ein zweites flexibles und sehr hochwertiges Abenteuer, welches sich während einer gewöhnlichen Schiffsreise einsetzen lässt.
Winterflut
Mit dem abschließenden Abenteuer der Anthologie betritt Stephanie von Ribbeck einen Schauplatz, der sonst nur am Rand auftaucht und in dieser Reinform auch gar nicht so leicht zu bespielen ist. Ihr Thema ist nicht das Meer, sondern der Hafen. Auch dieses Element spielt eine wichtige Rolle in Efferds Wogen. Die Autorin führt die Helden ins nostrische Salza. Sie verwendet viel Mühe darauf, das besondere Flair der Stadt zu transportieren, auch wenn das hinterweltlerische Salza und Salzerhaven nicht unbedingt nach Abenteuer schmeckt. Die wenigen Bilder transportieren zumindest schon einmal die verregnete Verlassenheit, die einen weitgereisten Abenteuer wohl an diesem Ort beschleichen muss.
Inhaltlich dürfen die Helden auch diesmal wieder auf Verbrecherjagd gehen. Ein geheimnisvoller Mörder geht um in Salza und bringt einen nach dem anderen zur Strecke. Einige Spieler und Helden werden hier Gelegenheit haben, einen alten Bekannten zu treffen. Zum Ende lässt von Ribbeck Salzerhaven durch eine Sturmflut verheeren. Dies kann durchaus spannend werden, auch wenn man sich hier eher an den Katastrophendienst nach dem letzten Tsunami erinnert fühlt. Es gelingt der Autorin, auf kleinem Raum ein Szenario zu entwickeln, welches zwar konventionelle Erzählelemente verwendet, doch diese immer wieder in ungewohnter Besetzung präsentiert.
Stephanie von Ribbecks Entwürfe üben auf mich immer eine gewisse Faszination aus. Auch wenn die Handlung hier auf den ersten Blick fast schon klischeehaft typisch erscheinen will, gelingt es von Ribbeck, die konkrete Ausprägung so zu verfremden, dass man im Rückblick regelrecht überrascht erkennt, dass hier ein Klassiker, vergleichbar dem Tötet-den-Schwarzmagier-Plot, gespielt wird. Die feine Ausgestaltung von Personen und Szenen, sowie die präzisen Setzungen zur Atmosphäre lassen ihre Abenteuer immer zu etwas Besonderem werden. Angesichts dieser Umstände ist es erfreulich, dass viele Einsteigerabenteuer der letzten Zeit die Möglichkeit bieten, junge Helden ins andergastsche Hinterland zu führen. Von dort ist es nicht mehr weit bis zur nostrischen Winterflut.
Fazit:
Nachdem bereits Efferds Wogen sehr zu überzeugen wusste, ist es sehr erfreulich, dass diese Qualität in der zugehörigen Anthologie gehalten werden konnte. Die fünf Abenteuer sind insgesamt von hoher Qualität und bedienen die vielfältigen Elemente, die in der Spielhilfe vorgestellt wurden. Alle Abenteuer sind sehr offen in der Setzung, oft wird von den Helden gar erwartet, dass sie die Richtung selbst bestimmen, in die es gehen soll. Neben klassischer Exploration und intensiven Beziehungsfeldern finden sich hier auch auffällig viele detektivische Elemente in den verschiedenen Szenarien. Insofern bedient Strandgut genau die Sehnsucht nach Abenteuern fernab politischer Winkelzüge und hinterlistiger Kriegsfürsten, die in Efferds Wogen geweckt wurde.
In unserer Punktewertung drückt sich das in Form von 7 Punkten aus. Während die Anthologie in den Kategorien Umfang der Ausarbeitung und weitere Verwendbarkeit des Materials nur im Mittelfeld liegt, kann hier vor allem die Flexibilität überzeugen. Der Schauplatz des Meeres bietet natürlich in einigen Fällen schon räumliche Flexibilität, die sonst nirgendwo gegeben ist. Eine solch konstante Qualität über fünf Beiträge ist keineswegs selbstverständlich, und bei einem Preis von 18 € darf hier jeder getrost zugreifen, der seine Helden irgendwann in Efferds Reich entführen möchte.