Rezension von Krassling (2008):
Alle Jahre wieder wird der Goldene Becher auf der Hannover spielt! vergeben. Zumindest galt dies noch bis vor Kurzem. Dann entschied nämlich FanPro in einer ominösen Aktion von der Zusammenarbeit mit den Veranstaltern abzusehen, den Wettbewerb abzusagen und einen Neuen aus der Taufe zu heben, der zukünftig während des RatCons in Dortmund prämiert wird. Der vorliegenden Anthologie mit den Siegerabenteuern aus dem Jahr 2006 kommt also die Ehre zu, der bislang letzte Band mit den Abenteuern des Goldenen Bechers zu sein.
Das Thema des Goldenen Bechers im Jahr 2006 lautete "Namenlose Schrecken". Die vorliegenden Abenteuer drehen sich also alle um die Machenschaften des dreizehnten Gottes oder besser: seiner Diener in Aventurien. Da dieser Hinweis allerdings auf dem Klappentext völlig fehlt, wird sich der geneigt Leser diese Informationen wohl anders beschaffen müssen, will er den Band nicht ohnehin kaufen. Der Aufbau des 50 Seiten starken Heftes bewegt sich im üblichen Rahmen. Die Abenteuer wurden wieder von verschiedenen Nachwuchskünstlern illustriert, und während am Ende des Bandes die verschiedenen Handouts und Karten zusammengefasst wurden, fehlt ein einleitendes Wort an den Leser wieder einmal völlig. Wieso man nicht in der Lage ist, die Autoren und den Wettbewerb durch die Investition einer einzigen Seite zu würdigen, ist mir bislang noch nicht ganz klar geworden. Doch wenden wir uns den drei Abenteuern zu.
Wenn zwei sich streiten
Uli Lindner führt die Helden im Auftrag der Hesinde-Kirche an die tobrische Piratenküste. In dem kleinen Ort Sardosk streiten ein Tempel der wehrhaften Schlange und ein Kloster des heiligen Borbarad um das Seelenheil der Bewohner, während man gleichzeitig versucht, der Aufmerksamkeit des despotischen Herrschers zu entgehen. Als den Erzwissensbewahrer zu Gareth die Nachricht erreicht, dass der Tempel in Sardosk Ziel mehrerer Anschläge geworden ist, entsendet er eine Gruppe wackerer Abenteurer, um dem Problem auf den Grund zu gehen. Dort angekommen stellen die zwölfgöttertreuen Recken jedoch fest, dass man auf der Gegenseite ähnliche Maßnahmen ergriffen hat. Aus Mendena hat die Prophetin Borbarads eine eigene Eingreiftruppe geschickt.
In der Folge beginnt ein kleiner Schattenkampf zwischen den Parteien, die beide versuchen, Beweise für die Anschläge der Gegenseite zu finden. Erst nach und nach wird den Helden klar, dass eine dritte Partei ihre Finger im Spiel hat. Doch bis zuletzt bleibt unklar, wer hier die Fäden zieht. Dabei müssen die Helden stets auf der Hut sein, um nicht zwischen die Räder der verschiedenen Parteien zu geraten. Als es dann schließlich gelingt, Licht in die namenlosen Machenschaften zu bringen, sehen sich die Helden einem überraschend starken Gegner gegenüber.
Uli Lindner überzeugt mit seinem intelligenten Szenario, das sich durch die besondere Situation auch sehr gut auf der Seite der Borbaradianer spielen lässt. Der modulare Aufbau des Mittelteils erlaubt eine einfache Anpassung an die eigene Gruppe und lässt gleichzeitig Raum für weitere Ideen. Der Autor versteht es hier geschickt, die Vorurteile von Spielern und Helden zu nutzen und den Diener des Rattenkindes als geschickten Manipulator einzusetzen. Das brisante Umfeld verhindert zugleich, dass die Helden allzu vorschnell handeln können und erlaubt es dem Geschehen, sich gänzlich zu entfalten.
Fazit: Mit Wenn zwei sich streiten gelingt Uli Lindner ein überraschendes Szenario, das den Helden deutlich vor Augen führt, dass die Dinge nicht immer so sind wie sie scheinen. Auch in den Schwarzen Landen trägt der Gegner nicht immer eine siebenstrahlige Krone auf dem Banner, wie ungewohnt dies auch sein mag. Der Einsatz der namenlosen Diener als intrigante Täuscher, die die Rivalitäten ihrer Gegner geschickt auszunutzen wissen, ist jedenfalls gelungen. Zugleich stellt das Abenteuer ein interessantes Beispiel für das kuriose Nebeneinander der Religionen in Xeraanien dar.
Im Schoße der Mutter
Dieses Abenteuer, soviel sei hier gleich gesagt, ist nichts für zarte Gemüter und hätte seinen Platz problemlos in einem Wettbewerb zum Thema Horror gefunden. Bereits die Vorgeschichte lässt ein flaues Gefühl im Magen aufkommen, und es wird im Verlauf der Geschichte nicht besser. Die Autoren Patrick Gouder und Stephan Frings führen die Helden im Auftrag einer Dame von Stand auf die Burg Arondriella in der Nähe von Kuslik. Dort sollen sie sich über das Befinden der werten Tochter erkundigen, die dort als Frau des Barons residiert.
Kaum dort angekommen müssen unsere Recken jedoch einen waschechten Thorwalerangriff abwehren. Zudem erfahren sie, dass es um die Dame des Hauses nicht gut bestellt ist, hat sie doch angeblich den eigenen Sohn gemordet und danach den Verstand verloren. Die Nachforschungen ergeben schnell eine dubiose Hexe als Verdächtige, doch kaum ist diese zur Strecke gebracht, haben die Helden neue Verdachtsmomente in der Hand. Als bei einer Jagd der Geweihte der Burg von den eigenen Jagdhunden zerrissen wird, entkommen die Helden nur knapp dem gleichen Schicksal.
Das Finale findet beim gemeinsamen Leichenschmaus statt. Das Wirken eines namenlosen Dämons wird offenbar, und die Helden müssen nicht nur gegen den Dämon und die Opfer seiner Verführungen bestehen, sondern auch ihre eigenen Zweifel überwinden. Von einem glücklichen Ende darf man hier wahrlich nicht sprechen. Die Tragödie endet, und doch bleiben für die Helden viele Fragen offen. Ein wohlwollender Meister lässt es vielleicht dabei bewenden, andernfalls schickt er seine Helden womöglich noch in ein Folgeabenteuer.
Fazit: In diesem Abenteuer offenbart der Namenlose ein besonders grausiges Gesicht. Obwohl der namenlose Geweihte zu Beginn des Abenteuers bereits das Zeitliche gesegnet hat, wird sein Treiben doch von einem dämonischen Diener seines Herrn fortgesetzt. Das Grauen gewinnt dieses Abenteuer aus dem unsichtbaren Feind, dessen Wirken dennoch allzu offenbar ist, und den Schrecken, die Besessenheiten und schwangere Frauen als Opfer bei den meisten Menschen hervorrufen. Zwar gibt es technisch gesehen ein paar kleinere Schwächen im Abenteuer, doch haben die Autoren in puncto Stimmung ein wahres Meisterstück abgeliefert, das auf manche Spielrunde wohl einen nachhaltigen Eindruck haben wird.
Der Hölle Rache
An der Universität von Al'Anfa werden die Helden in einen Kriminalfall hineingezogen. Nach einem Mord an der magischen Fakultät sieht sich die Spektabilität mit den Dingen überfordert und beauftragt die Helden, in einer Mordserie zu ermitteln. Bald erfahren die Helden, dass der Ende Rahja geschehene Fall bereits der dritte Tote an der Universität binnen einiger Monate war. Leider verlaufen die Ermittlungen alles andere als ungestört, denn der Täter schlägt kurz darauf erneut zu, und es hat nicht den Anschein, als wollte er damit aufhören.
So laufen die Helden im Wettlauf mit der Zeit und den Hindernissen der intriganten al'anfanischen Gesellschaft dem Geschehen hinterher. Stück für Stück holen sie auf, doch als sie den Täter schließlich gefasst haben, müssen sie feststellen, dass eine weitaus größere Gefahr bereits im Anmarsch ist. Das Finale endet für diese Verhältnisse schon fast klassisch. In letzter Minute wird der Zirkel des Namenlosen entdeckt und die unheilige Anrufung unterbrochen.
Das Szenario wird vor allem durch die verschiedenen Mordfälle vorangetrieben. Unter dem immensen Zeitdruck wird sicher keine Langeweile aufkommen, und die kleinen Erfolgserlebnisse werden die Spieler bei der Stange halten. Dass der Mörder am Ende nur ein kleiner Fisch ist, wird durch das Finale wieder ausgeglichen. Zwar bietet das eigentliche Finale keine wirklichen Besonderheiten, doch werden die Helden zu diesem Zeitpunkt wohl froh sein, den Bösewichtern endlich das Handwerk legen zu können.
Fazit: Simon Berthold liefert hier ein rasantes Kriminalabenteuer ab, das die Helden wohl im Eildurchlauf erleben werden. Der Kult des Namenlosen tritt hier zwar klassisch in Erscheinung, dennoch werden ein paar ungewohnte Aspekte in Szene gesetzt, die mir gut gefallen. Besonders der Umstand, dass nicht jeder Kultist ein überzeugter Fanatiker ist, gefällt hier. Darüber hinaus bleibt Der Hölle Rache ein solides und intelligent gemachtes Abenteuer, das lediglich im Abschluss etwas konservativ daher kommt.
Schlusswort
Auch wenn ich mit Anthologien und insbesondere mit den Wettbewerbs-Anthologien so meine Schwierigkeiten habe, so weiß Seelenschatten doch durch die schiere Qualität der Abenteuer zu überzeugen. Die Autoren haben es verstanden, eines der klassischen Themen des Schwarzen Auges mit überaus gelungenen Ideen umzusetzen. Das Wirken des Dreizehnten Gottes wird in seinen verschiedenen Aspekten deutlich. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass der Band parallel zur Neuauflage der Simyala-Trilogie (2007) erscheint. Rattenpilze, Täuschung und Besessenheit - all diesen Themen begegnet man auch dort wieder.
Jeder Meister, der seine Helden abseits der weltumspannenden Intrigen einmal mit dem Wirken des Namenlosen in Kontakt bringen will, findet hier drei gelungene Abenteuer, die er mehr oder weniger beliebig in seine Kampagnen einbauen kann. Besonders beim zweiten Szenario ist allerdings Vorsicht angeraten, da die Vorgänge hier den empfindlichen Gemütern schon mal auf den Magen zu schlagen vermögen.
In der Alveran-Wertung punkten die Abenteuer vor allem durch ihre guten Ideen, die gelungene Atmosphäre und die variablen Einsatzmöglichkeiten. Die Verkürzungen eines Wettbewerbs lassen sich an manchen Szenen erkennen, für die man sich noch etwas mehr oder etwas durchdachtere Ausführungen gewünscht hätte. So kommt der Band bei mir auf 7 Punkte, doch kann ein engagierter Meister hier gewiss noch weit mehr herausholen.