Rezension von Krassling (2005):
Wer im Zusammenhang mit dem Schwarzen Auge an Brettspiele dachte, der dachte meist an nichts Gutes. Tatsächlich waren die vier Brettspiele, die von 1992 bis 1994 unter dem Logo des Schwarzen Auges erschienen so schlecht, dass ich deshalb beinahe nicht mit dem Rollenspiel angefangen hätte. Nach klangvollen Titeln wie Die Burg des Schreckens, Das Dorf des Grauens, Die Schlacht der Dinosaurier und Das Tal des Drachen erschien nun im Oktober 2005 mit Der Weg nach Drakonia der jüngste Versuch, das erfolgreichste deutsche Rollenspiel um ein Brettspiel zu bereichern.
Wer in diesem Jahr auf der Spielemesse in Essen war, konnte allerlei neue Spiele bewundern, zumeist reichhaltig ausgestattete Spiele in riesigen Boxen. Der Weg nach Drakonia richtet sich gegen den Trend, denn mit gut 20 cm im Quadrat ist die Box doch recht klein. Dafür ist der Preis mit knapp 20 Euro aber auch so moderat, dass sich auch Kunden mit schmalerem Geldbeutel das Spiel leisten können, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Mit seinem Erscheinen zur Spielmesse hat FanPro den Zeitpunkt ebenfalls günstig gewählt. Nicht nur das Forum der Messe, auch das nahe Weihnachtsgeschäft sollte dem neuen Brettspiel einen guten Start ermöglichen.
Die Regeln (die es auch online bei FanPro gibt) sind mit gerade einmal vier Seiten denkbar knapp gehalten, zumal man es sich nicht nehmen lässt, das Spielmaterial noch einmal bildlich darzustellen und den Regeln eine kurze Geschichte als Prolog voranzustellen. Gleich darauf findet der junge(?) Kunde ein farbenfrohes Beiblatt, auf dem Das Schwarze Auge als Deutschlands erfolgreichstes Rollenspiel-System angepriesen wird. Wo auf der Vorderseite neben der Basisbox die Spielsteinkampagne ins rechte Licht gesetzt wird, finden wir auf der Rückseite eine Auswahl der neueren Romane. Abgesehen davon, dass Ulrich Kiesows Das zerbrochene Rad hier doch etwas fehl plaziert scheint, zeigt das Blatt, dass man im Hause FanPro angefangen hat, sich ernsthafte Gedanken über die Vermarktung zu machen.
Der dreiteilige Spielplan ist ebenso robust wie ansprechend gestaltet, wenngleich das Startfeld "Stadt" mich doch eher an eine Pyramide der Atzteken erinnert. Auf sechs Karten werden die verschiedenen Kulturen (Tulamiden, Thorwaler, Zwerge, Mohas, Garetier und Waldelfen) vorgestellt. Die Helden einer jeden Kultur werden durch farbige Pappmarker symbolisiert, von denen es zwölf für jede Kultur gibt. Ein Satz mit Abenteuerkarten für die vier verschiedenen Heldentypen (Krieger, Magier, Dieb und Priester) komplettiert das Set. Eigentlich unspektatkulär, aber dennoch bemerkenswert ist die wiederverschließbare Plastiktüte, die der Box beiliegt. Sehr praktisch zur Aufbewahrung der Heldenmarker, für all jene, die gerade keinen Stoffbeutel zur Hand haben.
Auch wenn das Spielmaterial zunächst den Anschein erweckt, keinen allzu komplexen Spielablauf zu ermöglichen, stellt sich bald herau, dass Der Weg nach Drakonia sehr anspruchsvoll zu spielen ist. Jeder Spieler wählt eine Kultur und erhält einen kompletten Satz Helden, dessen Zusammensetzung von seiner Kultur abhängt. Die einzelnen Spieler schicken nun ihre Helden auf den Weg nach Drakonia. Die Zahl der Helden, die ein Spieler im Spiel haben darf, ist dabei begrenzt, so dass hier taktische Überlegungen ausschlaggebend sind. Gleichzeitig können Helden während des Spiels ausscheiden, und so wird die maximale Anzahl von Helden, die einer Kultur zur Verfügung stehen relevant.
Im Verlauf des Spiels werden Abenteuerkarten auf die eigenen Helden gespielt, um diese so weiter voran zu bringen. Das Ganze gestaltet sich doppelt trickreich, weil eine Abenteuerkarte immer mehrere Helden beeinflusst, so dass man schnell die Helden der Gegenspielers mit nach vorne gezogen hat. Ein Dieb lässt beispielsweise immer zwei Helden nach vorne rücken, während ein Dritter ein Feld zurück muss. Die Karten des Kriegers hingegegen schicken keine Helden zurück, sondern lassen einen von ihnen verwundet zurück. Wenn dann kein Priester zur Stelle ist, der das Opfer heilen kann, gehen einem schnell die Alternativen aus.
Das Spiel endet, sobald ein Held Drakonia auf dem siebten Feld erreicht. Allerdings gewinnt nicht derjenige Spieler, dessen Held als erster die Feste erreicht hat. Statt dessen zählt jeder Held so viele Punkte, wie er auf dem Weg nach Drakonia zurückgelegt hat. Ein weiteres Element, das während des Spiels im Auge behalten werden muss.
Der Weg nach Drakonia ist in jedem Fall ein sehr spannendes, aber auch extrem kniffliges Spiel. Es ist unheimlich schwer, alle Alternativen im Auge zu behalten. Die Zahl der Spieler kann dabei zwischen zwei und sechs Spielern liegen, so dass es praktisch keine ungeeignete Konstellation von Spielern gibt. Wenn das Spiel einmal nicht so lange dauern soll, bieten sich die Short-Way- und die Speed-Game-Variante an, die deutlich kürzer dauern.
Fazit:
Obwohl Der Weg nach Drakonia in seiner Größe und Ausstattung zunächst unauffällig daher kommt, kann sich der Inhalt allemal sehen lassen. Der Kunde erhält ein ebenso vielseitiges wie anspruchsvolles Spiel zu einem durchaus moderaten Preis. Die zahlreichen Varianten garantieren, dass sich dieses Brettspiel praktisch überall und jederzeit spielen lässt. Brettspielneulinge seien jedoch gewarnt. Dieses Spiel verlangt weitaus mehr Einsatz, als zum Beispiel eine Runde Monopoly. Wer nach Entspannung sucht, sollte sich anderswo umsehen.